Faust. Vom Wissensdurst getrieben, am Ende doch erlöst. Bild: Julius Nisle – Wikimedia


Andreas Jürgens

Wird uns der Fortschrittsglaube zum Verhängnis oder eher die Zivilisationsmüdigkeit? Ausstieg statt Aufstieg und Stillstand statt Neugier sind vielleicht Anzeichen einer allmählichen Erschöpfung. Eine Suche nach dem Glutkern der Innovationsgesellschaft.

Von einem Wesen, das auf dem Baum sitzend in seine Umgebung schaut, haben wir uns zu einem entwickelt, das vom Weltall aus die ganze Erde beobachtet – und bald zu fernen Planeten aufbricht. In Stanley Kubricks Filmklassiker »Odyssee im Weltraum« nimmt diese Millionen Jahre dauernde Entwicklung nur einige Minuten ein. Die Klänge von Richard Strauss’ »Also sprach Zarathustra« verkünden den Beginn einer neuen Ära: Eine Gruppe von Vormenschen entdeckt den Nutzen großer Tierknochen als Waffe, die sie nun im Überlebenskampf einsetzt. In der folgenden Szene sieht man ein knochenförmiges Raumschiff, das durch das Weltall gleitet. Knochen und Raumschiff verbinden sich in einer kunstvollen Überleitung zum Symbol für die Technik. Ein Geschöpf, das in Ermangelung scharfer Krallen, Reißzähne oder großer Kraft Fähigkeiten entwickelt, mit denen es sich den Herausforderungen seiner Umwelt stellt, wird zum Homo faber, zum schaffenden Menschen.

In Kubricks Meisterwerk ist es ein geheimnisvoller schwarzer Monolith, der die Menschwerdung anstößt und die auserwählte Gruppe aus ihrer reinen, tierhaften Natur in die Kultur hebt. Im Mythos des Prometheus bringt der Titan den Menschen das Feuer, damit sie ihre Nahrung kochen, sich wärmen und gegen Raubtiere schützen können. Mit dem Feuer erhellt er damit gewissermaßen ihr irdisches Dasein, das sich nach dem Willen der olympischen Götter als eine mühsame, kurze Existenz voller Gefahren und Hunger abspielen soll. Prometheus dagegen liebt die Menschen – er, der Vorausdenkende, scheint ihnen noch Großes zuzutrauen.


»Mir hilft der Geist! Auf einmal seh' ich Rat und schreib’ getrost: Im Anfang war die Tat!«

Faust, Studierzimmer


Emanzipation von der wilden Natur

Flint wird immer wieder gegen Markasit geschlagen. Funken, Glimmen, Qualm – dann breitet sich ein helles Licht auf dem Zunder aus. Die lodernde Flamme tanzt auf dem Holzstück, das triumphierend emporgehoben wird. Der Augenblick, in dem ein Mensch sein erstes – selbstentfachtes – Feuer in der Faust hält. Seine Scheu hat er längst abgelegt, er sah Blitzeinschläge, brennende Büsche und seine Sippe lernte das Feuer einzufangen, zu hüten und weiterzugeben. Bis es eines Tages wieder erlosch und die Dunkelheit zurückkehrte. Doch von nun an kann er die Flamme ohne den wohlmeinenden Titanen selbst wiederentzünden. Bald beginnt er, sich zum Herrn über seine Umwelt zu erheben. Er fürchtet die Götter noch – doch er wird sie auch immer wieder herausfordern.

Er wird in seiner Freude über die Beherrschung des Feuers für uns unverständliche Laute ausgerufen haben. Doch der frühe Mensch formte in seinem Drang, mit anderen zu kommunizieren, immer neue Silben, die schließlich zu immer längeren Wörtern wurden. Neben der Sprache entwickelte er Zeichen, zunächst figürliche Darstellungen an Felswänden, dann immer wiederkehrende Symbole auf transportablen Kult- und Alltagsobjekten. In Südosteuropa wurden Ende des 19. Jahrhunderts Ton- und Steingegenstände ausgegraben, die mehr als 7000 Jahre alt sind. In die Gefäße, Figuren und Tafeln der Vinča-Kultur sind Zeichen eingeritzt, die man über hunderte Kilometer verteilt entdeckte. Lässt sich hier auch noch kein komplexes System erkennen, so entstand mit ihnen eine weitere Kulturtechnik: Man hält Gedanken fest, erzählt und lässt Menschen auch an anderen Orten und zu späteren Zeiten daran teilhaben.

Der Freudenruf »Heureka!« ist dagegen bis heute erhalten und vielleicht war man damals amüsiert, dass der Rufende dabei nackt und tropfnass durch die Straßen von Syrakus lief. Er hatte soeben in seiner Badewanne das archimedische Prinzip erkannt und damit schon vor rund 2200 Jahren die Voraussetzung dafür geschaffen, dass auch moderne Containerschiffe schwimmen. Als die Römer die Stadt belagerten, musste er sich auch im militärischen Bereich beweisen: Der Mathematiker, Physiker und Ingenieur Archimedes von Syrakus konstruierte Zahnräder, Flaschenzüge und schließlich auch Katapulte, die der Verteidigung der damals griechischen Stadt dienten.

Drei Jahre hielten ihre Bewohner stand, doch im Jahr 212 v. Chr. gelang es den Römern schließlich, Syrakus zu erobern. Noch während der Erstürmung der Stadt soll Archimedes in seine Studien versunken gewesen sein und auch sein letzter Satz erlangte Berühmtheit: »Störe meine Kreise nicht«. Dann wurde mit einem Schwerthieb ein Genie der Antike ausgelöscht.

Die Erkundung des Wahren

Eine Winternacht in Pavia bei Mailand. Mit einem entschlossenen Schnitt öffnete das Skalpell den Leib des Verstorbenen. Fett trat aus und Blut bespritzte den Kittel des Mannes, der tagsüber mit dem Pinsel arbeitete. Obwohl er schon bald dreißig solcher Untersuchungen durchgeführt hatte, musste er noch immer gegen die Übelkeit ankämpfen. Doch sein Wille, den menschlichen Körper ganz zu durchdringen, seinen Aufbau und seine Funktionen zu verstehen, ließ ihn den Skrupel überwinden, seine Nächte in Gesellschaft von Toten zu verbringen. Hunderte Seiten füllte er mit Zeichnungen von Herzen, Gebärmüttern, Muskeln und Sehnen, die so präzise waren, dass sie den Darstellungen moderner Lehrbücher in Nichts nachstehen.

Der Mann, der hier zu Werke ging, hatte zwar keine medizinische Ausbildung durchlaufen und nannte sich selbst spöttisch einen ›Analphabeten› und ›Malerphilosophen‹. In seinem Drang nach umfassender Erkenntnis studierte er aber schon früh die Schriften der antiken und zeitgenössischen Gelehrten, untersuchte die Natur seiner ländlichen Umgebung und las die Bibel auf eine Weise, die deren Aussagen mit seinen alltäglichen Beobachtungen abglich. Denn nicht nur die organischen Zusammenhänge des Körpers interessierten ihn, auch wo der Verstand, wo die Seele sich befände, wollte er ergründen. Seine Zweifel, Versagensängste und die Rückschläge bei seinen Experimenten an der Grenze zwischen Wissenschaft und Magie, hielten ihn nicht von seiner Lebensaufgabe ab – der Erkundung des Wahren.

Leonardo da Vinci wurde 1452 in der seinen Nachnamen bildenden Gemeinde Vinci bei Florenz geboren. Als unehelicher Sohn eines Notars und dessen Magd blieb ihm eine akademische Laufbahn verwehrt. Im Alter von 20 Jahren wurde er aber nach einer künstlerischen Ausbildung von der Florentiner Malergilde aufgenommen. Doch wollte er sich nicht auf eine Karriere als Kunstmaler beschränken. Neben der Malerei und der Bildhauerei galt seine Leidenschaft auch der Architektur – einer Disziplin, die im Florenz der Renaissance den eigentlichen Ruhm versprach. Wie schon Archimedes wollte er Spuren hinterlassen, neben dem Schönen auch Praktisches schaffen. Nun suchte er Anerkennung bei den Mächtigen – und einen großzügigen Mäzen.

Dem Herzog von Mailand bot er seine Dienste als Militäringenieur an. Ursprünglich wollte er ihm seine selbstgefertigten Musikinstrumente präsentieren, nun verlegte er sich auf das Erfinden von Kriegsmaschinen – seine Fähigkeiten in der Malerei erwähnte er nur beiläufig. Er akzeptierte ohnehin keine strenge Trennung von Kunst und Technik. Doch in seiner leidenschaftlichen Suche nach dem allumfassenden Wissen stürzte er rastlos von einem Fach zum anderen. Heute ist Leonardo da Vinci vor allem für seine Malerei weltberühmt. Das Bildnis einer lächelnden Florentinerin hatte er seinem Auftraggeber wohl nie übergeben, aber die porträtierte Dame kennt heute jeder: Mona Lisa.


»Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewusst«

Mephisto zu Faust, Studierzimmer


Kann man die ganze Welt beschreiben?

1769 kam in Berlin ein Mann zur Welt, dessen Name es bis auf den Mond schaffte. Tiere und Pflanzen, Schiffe und Universitäten wurden nach ihm benannt und die Gipfel eines ›seiner‹ Gebirge ragen drei Kilometer aus dem Eis der Antarktis. Sein rastloser Geist war ständig mit Neuem beschäftigt. Als Versuchsobjekt erster Wahl diente ihm – der eigene Körper. Im Amazonas untersuchte er Zitteraale auf ihre Elektrizität und setzte sich ihren Stromschlägen aus, bis er seine Hände nicht mehr spürte. Das Pfeilgift indigener Jäger schluckte er, um zu beweisen, dass es nur im direkten Blutkontakt giftig sei. Er kletterte auf Vulkane und wanderte barfuß durch den Schnee. Wie den Menschen, so sah er die ganze Erde als einen Organismus, in dem alles mit allem verbunden ist.

Um dem bequemen Leben im Schloss seiner Eltern zu entkommen, begann der junge preußische Adelige Alexander von Humboldt ein Studium der Staatswirtschaftslehre, der Rechts- und Naturwissenschaften sowie Bergbau- und Minenwesen. Auch damit noch unterfordert, hörte er Altertumskunde, Physik, Mathematik, Medizin und machte sich mit Botanik und Zoologie vertraut. Getrieben von einem unstillbaren Hunger nach Erkenntnis wollte er einfach alles wissen. Prägten seine Zeitgenossen Schiller und Goethe den literarischen Sturm und Drang mit dem Idealbild des schöpferischen Menschen, brach von Humboldt auf zu abenteuerlichen Expeditionen nach Lateinamerika, in die noch jungen USA und schließlich durch Russland bis an die chinesische Grenze.

In Südamerika, das für ihn wie ein riesiges Freiluftlabor war, stieg er ohne die geeignete Ausrüstung auf den über 6000 Meter hohen Chimborazo, ein Vulkan, der damals als höchster Berg der Welt galt. Trotz des gefährlichen Aufstiegs sammelte er Pflanzen und Gesteine, führte Messungen durch und fertigte detaillierte Zeichnungen an. Kurz vor dem Gipfel zeigte ihm die Natur allerdings seine Grenzen auf – eine unüberwindbare Felsspalte. Doch selbst dieses Scheitern nutzte er mit aufgeplatzten Lippen und halb erfroren, noch wissenschaftlich. Er beschrieb erstmals die Symptome der Höhenkrankheit: Atemnot, Erbrechen und Schwindel.

Noch im Alter von 60 Jahren reiste er über 18.000 Kilometer quer durch Russland. Im Auftrag des Zaren sollte er als Experte für Bergbau die gewaltigen Bodenschätze des Riesenreiches erschließen. Er berichtete später von großflächigen Abholzungen, den Verlust an Vegetation und dessen Auswirkung auf das Klima, auch deshalb sieht ihn heute mancher als frühen Umweltaktivist. Doch mahnt er in seinem Werk »Kosmos« auch das ›Lebensgeschick‹ der europäischen Staaten an, wissenschaftlich wie wirtschaftlich nicht zurückzubleiben und einen Wohlstand zu mehren der »alle Classen durchdringt«. Heute gilt Alexander von Humboldt als einer der letzten Universalgelehrten. Bis zum Ende seines fast 90-jährigen Lebens beeinflusste er die Wissenschaft seiner Zeit wie kaum ein anderer. Dieser ›Große Alexander‹ hatte sich die Welt mit dem Kopf, nicht mit dem Schwert erobert.

Alexander von Humboldt
Alexander von Humboldt, Gemälde von Friedrich Georg Weitsch (1806) – Alte Nationalgalerie/Wikimedia

Alexander von Humboldt (1769 – 1859) gilt als einer der letzten Universalgelehrten. Sein rastloser Geist war ständig mit Neuem beschäftigt.


Etwas Neues bricht sich Bahn

Das Fenster vor der Tragfläche gibt den Blick frei auf die hell erleuchteten, gläsernen Bürotürme. Aus den Fabrikschloten steigt Rauch in den Nachthimmel, am Horizont sieht man die Konturen der Kräne, die ihre tonnenschwere Last auf die Schiffe laden. Noch vor Sonnenaufgang werden sie wieder ablegen und Kurs nehmen auf ferne Kontinente. Von hier oben sieht das Ballungsgebiet aus wie ein riesiges Nervensystem, das mit gelb flackernden Verästelungen immer weiter in die Landschaft hineinwächst. Industriezonen und Wohngebiete verschmelzen miteinander. Wo befindet sich die ›Herzmaschine‹, wo liegt das Zentrum, das diesen Organismus steuert?

Das Kabinenlicht wird gedimmt, das Flugzeug setzt zur Landung an. Dort unten taucht das graue Betonband auf, dessen Lichtstreifen Spurbreite und Richtung anzeigen. Beim Ausstieg ein kurzer Blick ins Cockpit: unzählige Anzeiger, Schalter und Knöpfe. Auf Laufbändern geht es weiter durch schier endlos lange Hallen. Eiliges Umsteigen – Zeit ist Geld. Endlich verlässt der Zug den Tunnel, draußen bricht der Tag an. Mit 600 Kilometern pro Stunde durchschneidet man die Felder, vorbei an Kraftwerken und Fabriken, unter Autobahnbrücken hindurch und entlang von Flüssen, auf denen Binnenschiffe Waren transportieren. Der Rhythmus der Wirtschaft kennt keine Unterbrechungen. Doch wer gibt den Takt vor?

Das Speisezimmer einer eleganten Villa im georgianischen Stil. Hier im Soho House in Birmingham traf sich die Lunar Society. So nannte sich ab 1765 eine Gruppe von Wissenschaftlern und Unternehmern, die hier zusammenkam, um zu experimentieren, zu philosophieren – und zu dinieren. Der Legende nach tat sie dies nur zur Vollmondnacht, um trotz unbeleuchteter Straßen sicher wieder nach Hause zu gelangen. Doch das eigentliche Unbekannte, das Neue, versetzte sie in Begeisterung, nicht in Angst. Man wollte die Zukunft mitgestalten, die kommende Welt. Diese ›Lunatics‹ wurden geleitet von dem Arzt Erasmus Darwin, Großvater des Evolutionstheoretikers Charles Darwin, und dem Ingenieur und Unternehmer Matthew Boulton. Ihre Mitglieder entdeckten die Wirkung von Sauerstoff und die Heilkraft der Fingerhutpflanze, erfanden neue Legierungen und ein Taschenmikroskop, bauten ein Krankenhaus und förderten ein Kanalsystem, das Birminghams Fabriken mit dem Rest Englands verband.

Angespornt vom Willen zur Veränderung durch Technologie war auch ein Mitglied namens James Watt. In Birmingham suchte er bei Boulton finanzielle Unterstützung für seine entscheidende Weiterentwicklung der bereits seit der Antike bekannten Methode zur Umwandlung thermischer in mechanische Energie. Ihm gelang es, die nach diesem Prinzip funktionierende Maschine so zu verbessern, dass mit ihr enorme Kräfte freigesetzt werden konnten. Mühlen, Lokomotiven und Schiffe wurden letztlich mit Watts Konstruktion revolutioniert, die sich von Birmingham aus in der ganzen Welt verbreitete. Entwickelt und produziert vom Sohn eines Spielzeugfabrikanten und einem Instrumentenbauer, der seine Lehre abbrach und sich autodidaktisch weiterbildete. Die Dampfmaschinen der Firma Boulton & Watt wurden zu einem Symbol der industriellen Revolution.


»Es kann die Spur von meinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn«

Faust, bald zurücksinkend …


Innovation als kultureller Wert

Was im Zuge dieses gewaltigen technischen Umbruchs erfolgte, war eine ›Permanente Revolution der Technik‹: Ein Rad, das niemals stillsteht, ein Prozess, der sich heute in der Digitalen Transformation fortsetzt. Diese Innovationskultur wurde im Westen zu einem bedeutenden gesellschaftlichen Faktor und die Schöpfungen, die sie hervorbrachte, verbreiteten sich von Europa und Nordamerika aus in beinahe jeden Winkel der Erde. Die neuen Technologien verbanden Kontinente miteinander, ließen Städte anwachsen oder überhaupt erst entstehen und beschleunigten Produktionsabläufe in bisher unbekannten Ausmaß. Ab dem 19. Jahrhundert öffnete sich der Vorhang der Forschung unentwegt für neue Erfindungen, die vom Westen ausgehend ihren weltweiten Siegeszug antraten. Mit jedem neuen Genie, das die Bühne der Wissenschaft betrat, erweiterte sich der menschliche Horizont. Jedes von ihnen brachte etwas in die Welt, ohne das unsere hochtechnisierte Gesellschaft nicht denkbar ist.

»Das Pferd frisst keinen Gurkensalat.« Mit diesem Satz eröffnete Philipp Reis 1861 das erste Telephonat der Welt – es reichte gerade einmal 100 Meter weit. Doch auf der Grundlage seiner Erfindung, des Telephons, einem unscheinbaren Holzkasten, änderte sich unsere Kommunikation radikal. Heute ist zumindest theoretisch jeder mit jedem verbunden. Auch auf den Plätzen und Straßen wurde das Leben kommunikativer – und sicherer. Ende des Jahrhunderts geriet die westliche Welt in einen wahren Lichtrausch. Die elektrischen Leuchten des Thomas Alva Edison setzten die Großstadtnächte strahlend in Szene. Im sogenannten ›Stromkrieg‹ unterlag er aber seinem ehemaligen Mitarbeiter, dessen Wechselstromsystem sich durchsetzte und der über 100 Jahre später zum Namensgeber für ein Elektroauto wurde – Nikola Tesla.

»Ich bin zu faul zum Rechnen«, stellte Konrad Zuse schon 1937 in Berlin-Kreuzberg fest. Der studierte Bauingenieur und expressionistische Maler erfand dort den ersten Computer, den Z1. Heute stellen dessen späte Nachfahren, die Supercomputer, mit Trillionen Rechenoperationen pro Sekunde immer neue Leistungsrekorde auf und werden in der Wissenschaft unter anderem für Anwendungen der künstlichen Intelligenz eingesetzt. Ob Produktionssteigerung, Klimawandel oder medizinische Wirkstoffsimulationen – der Wettbewerb der Innovationen, das Ringen um den entscheidenden Wissensvorsprung treibt die Forscher seit jeher zu Höchstleistungen an.

Was zur Hölle war das?

Ikarus, Sohn des Erfinders Dädalos, musste seinen Übermut mit dem Leben bezahlen. Den Rat seines Vaters, nicht zu tief zu fliegen, weil ihn sonst das Meer verschlinge, aber auch nicht zu hoch, da sonst die Sonne seine Flügel versenge, ignorierte Ikarus im Mythos. Sein jugendlicher ›Höhenkoller‹ ließ ihn immer weiter zum Himmel aufsteigen, bis das Wachs, das seine künstlichen Flügel zusammenhielt, schmolz und er in den Tod stürzte. Der Luftfahrtpionier Otto Lilienthal bezahlte seinen Forscherdrang, nach zahlreichen gelungenen Gleitflügen, ebenfalls mit dem Leben. Doch seine Experimente inspirierten die Brüder Wright zur Weiterentwicklung des Flugapparats. Wenige Jahre später gelang den Söhnen eines Bischofs schließlich, was Lilienthal durch seinen frühen Tod verwehrt blieb: 1903 erhob sich ihr motorisiertes Flugzeug, der Wright Flyer in den Himmel – und kam heil wieder herunter.

Ein metallener Sturmvogel versetzte seine Gegner Mitte der 1940er-Jahre in Erstaunen. »What the hell was that?« soll die Reaktion der Allierten gewesen sein, als mit Wilhelm Messerschmitts ME 262 der erste Düsenjäger mit 870 Kilometern pro Stunde an ihnen vorbeiraste. Nach Aussagen des Piloten durchbrach die Maschine aber bereits die Schallmauer. Die rabenschwarze Lockheed SR-71, genannt Blackbird, flog bereits mit dreifacher Schallgeschwindigkeit und soll bis heute das schnellste Flugzeug der Welt sein. Es besteht größtenteils aus Titan – herkömmliche Materialien würden bei einer solchen Geschwindigkeit durch die Reibungshitze schmelzen. Die Blackbird wurde allerdings schon in den 1960ern entwickelt. Ein offizielles Nachfolgemodell ist nicht bekannt, aber das könnte daran liegen, dass es zu schnell … was zur Hölle …?

Ihren Titanismus stellen die Forscher längst auch im All unter Beweis, wo man inzwischen auf zahlreiche ›Kubrick’sche Knochen‹ trifft. Im Orbit schwirren heute abertausende Objekte herum und vieles davon gilt bereits als ›Weltraumschrott‹. Fast 10.000 Tonnen alter Satelliten, Raketenstufen und Kleinstteile umkreisen unsere Erde. Dieser ›rasende Müll‹ erreicht Geschwindigkeiten von mehreren zehntausend Kilometern pro Stunde. Den ›Wolkendunst des Zeus‹, von dem Goethe in seiner Ode »Prometheus« dichtet, haben der Mensch und die Technik bereits 1944 durchbrochen. Die sogenannte Kármán-Linie, der Bereich, an dem die Luft- zur Raumfahrt wird, durchstieß eine Rakete, die Vergeltungswaffe 2, kurz V2,  genannt wurde. Von einem Ostseestrand, dort wo heute Kurgäste auf Camper treffen, schickte Wernher von Braun seine tödliche Erfindung über das Meer. Wenige Jahre später entwickelte er in den USA das dortige Raumfahrtprogramm mit. 1969 war es schließlich soweit: Die Apollo 11 landete auf dem Mond und Neil Armstrong hinterließ als erster Mensch seinen Fußabdruck. Auf Wernher von Brauns’ Grab prangt in goldenen Lettern Psalm 19:1 – »Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament.«


Terraforming: Menschliches Eingreifen könnte in der Zukunft andere, erdähnliche Planeten bewohnbar machen – in einem viele Jahrhunderte dauernden Prozess.


Alien frozen planet with astronauts and a terraforming dome
3000ad – stock.adobe.com

Terraforming – Hybris oder Notwendigkeit?

Ein Mann betritt die Bühne, den die Medien als ›Tech-Titan‹ bezeichnen. Zahlreiche Unternehmen hat er bereits aufgebaut, stand kurz vor dem Bankrott und behauptet, persönlicher Besitz sei ihm unwichtig und belaste nur. Seine Elektroautos sollen autonom fahren, Städte will er unterirdisch über Hyperloop-Tunnel und das menschliche Gehirn mit Maschinen verbinden. Obwohl Elon Musk eigentlich nichts selbst erfindet, sondern Milliarden investiert, scheinen sein Geist und sein Tatendrang einige der besten Ingenieure und Entwickler zu außergewöhnlichen Leistungen anzutreiben.

Neben ihm steht ein etwas unbeholfen wirkender Mitarbeiter mit glänzenden Metallgelenken, aus denen Kabel ragen. Er heißt Optimus und ist Teslas Modell eines humanoiden Roboters. Solche hochentwickelten Helfer übernehmen in der Produktion, im Gesundheitswesen und beim Militär immer mehr Aufgaben. Aber Musk plant längst über die Erde hinaus. Er hält den Homo sapiens für eine multiplanetare Spezies. Sein wichtigstes Unternehmen will eine neue Heimat für den Menschen aufbauen – und zwar auf dem Mars. 1000 Starships will SpaceX dorthin schicken, sie sollen Menschen und Materialien transportieren, genügend, um eine Kolonie auf dem roten Planeten zu gründen. Ist Elon Musk ein ›faustischer Entrepreneur‹ oder ein Philanthrop? Will er die Menschheit auf den Mars bringen – oder nur eine schwerreiche Elite, die sich eines Tages in ein Elysium flüchten will?

Der britische Astrophysiker Stephen Hawking empfahl den Menschen, sich einen neuen Heimatplaneten zu suchen. Denn ihre Existenz auf der Erde sei durch Klimaerwärmung, Atomkrieg und gentechnisch hergestellte Viren in Gefahr. Aber auch wenn wir optimistisch bleiben und die Erde zum Guten weiterentwickeln: In etwa 500 Millionen Jahren dürfte es hier ungemütlich werden. Die Luft wird knapp, die Ozeane verdampfen, am Ende bleiben noch Bakterien. Auch wenn wir bald als Weltraumsiedler – nach einjähriger Reise und mit tonnenschwerem Gepäck – auf dem Mars ankämen, fänden wir dort Bedingungen vor, die alles andere als heimelig sind. Denn der Mars ist eine Art staubbedeckte Eiskugel.

Menschliches Eingreifen könnte ihn allmählich zu einem bewohnbaren Planeten machen. In diesem Terraforming genannten Prozess würden die dünne Atmosphäre verdichtet und die Temperaturen erhöht werden. Über viele Jahrhunderte könnten so Ozeane entstehen, dann Pflanzen, Tiere und irgendwann … der Mensch wäre ja schon da. Diese Kolonisten müssten allerdings sehr geduldig sein. Ausgelöst werden könnte die Entwicklung durch das Schmelzen der Mars-Polkappen. Das wiederum solle durch das Abwerfen von Atombomben geschehen. Meint zumindest Elon Musk einigermaßen mephistophelisch.

Noch warten auf Mutter Erde zahlreiche Aufgaben, die zu erledigen sind – genügend für viele Jahrtausende. Aber um diese Zukunft zu schaffen, braucht es vor allem kreative Köpfe, geschickte Hände – und jede Menge Empathie, um sie lebenswert zu gestalten. Bewahren wir unsere ›Tradition der Innovation‹ oder verlieren wir den Anschluss im Wettlauf um die besten Ideen – mit allen Auswirkungen auf Wohlstand und Sicherheit?

In Alexander von Humboldts Erzählung »Die Lebenskraft oder der Rhodische Genius« betrachtet Epicharmus, ein Naturphilosoph, am Ende seiner Tage zwei Kunstwerke: Auf dem einen hebt die Gestalt des Genius eine Fackel empor, auf dem anderen läßt dieser sie erloschen sinken, der Geist und mit ihm das Leben entschwinden. Neue Gestalten betreten in »wilder Entfesselung« die Bühne. Der alte Epicharmus aber wird ein letztes Mal an den Strand geführt, wo er seinen Blick ins Unendliche richtet.

Wir haben die Wahl, ob wir unsere Gesellschaft mit Geist und Tatkraft weiterentwickeln, oder ob wir die Flamme – träge und selbstzufrieden geworden – als Konsumenten ›guter Unterhaltung‹ erlöschen lassen.


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