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Andreas Jürgens

Sechs Jahre unseres Lebens verbringen wir im Traum. Nicht erst seit Freud, bereits in der Antike versuchte man Träume zu entschlüsseln. Entwickelt sich die moderne Traumforschung zum Dream Hacking, wird unser Kopf zum Brain-Computer-Interface, mit dem unsere Gedanken für andere sichtbar werden? Eine Reise durch die Nacht – vom Tempelschlaf zum Schlaflabor.

Die Nacht brach herein und tauchte den Tempel in Dunkelheit. Nur zwischen den Säulen zeichnete sich das Licht einer kleinen Flamme schwach von den umstehenden Zypressen ab. Eine Gruppe Frauen legte sich auf die Klinen. Sie hatten ein ausgiebiges Bad genommen und waren nun in frische Leinentücher gehüllt. Keine von ihnen sagte etwas, ruhig lagen sie da und warteten. Warteten auf Hypnos, den Schlaf und auf Morpheus, den großen Traumbringer. Nach einer Weile trat eine Priesterin an die Schlafenden heran. Sie flüsterte eine Formel und überließ sie dann der Traumwelt, wo Asklepios ihre Leiden heilen sollte.

Verschlüsselte Botschaften der Götter

Von den Asklepios gewidmeten Heiligtümern finden sich heute nur noch Ruinen. Hier legten sich Heilsuchende zum Schlafen, um in diesem Bewußtseinszustand Anweisungen vom griechischen Gott der Heilkunst für ihre Gesundung zu erhalten. Anhand von Inschriften, die solche ›Traumheilungen‹ bekunden, könnten diese Stätten auch als eine Art frühe Kliniken bezeichnet werden. Die antiken griechischen Texte sind reich an Träumen und deren Symbolsprache. In Homers »Odyssee« trifft Penelope, die seit vielen Jahren auf die Rückkehr ihres Mannes Odysseus hofft, auf einen Bettler. Sie erzählt ihm von einem Traum, der sie »im honigsüßen Schlaf« erfasste und fordert ihn auf, diesen zu deuten. Ihr erschien darin ein prächtiger Adler, der die Gänse im Hof attackierte. Penelope erscheint das Geträumte wirr und unbegreiflich, der Bettler dagegen deutet es als Zeichen der baldigen Rückkehr ihres Mannes, der seine zahlreichen Nebenbuhler vernichten wird. Odysseus bereitet Penelope so auf das langersehnte Wiedersehen vor – er selbst steckt in der Verkleidung des Bettlers.

Im Altertum galt das Traumerlebnis häufig als Hinweis auf ein noch in der Zukunft liegendes Ereignis. Weniger die Verarbeitung der Vergangenheit spielte eine Rolle, sondern vielmehr Omen und Prophezeiungen, Hinweise ›von oben‹ gewissermaßen. Denn von wem die Träume kommen, stand schon für Homer fest: Zeus selbst lässt sie den Menschen zukommen. Doch sind sie oft nicht nur verworren, sondern sogar trügerisch wie im Traum des Agamemnon: In der »Ilias« verlockt Zeus den Heerführer mit einer Traumbotschaft, die ihm einen schnellen Sieg über Troja in Aussicht stellt. Doch weder im Olymp noch bei den Griechen ist man sich einig und so muss sich Agamemnon gedulden.

Eindeutiger war ein Traum des historischen Kaisers Konstantin aus dem Jahre 312. Ihm erschien das Christusmonogramm mit den Worten »In diesem Zeichen wirst Du siegen«. Er ließ das Zeichen auf die Schilde seiner Legionäre malen und in der darauffolgenden Schlacht an der Milvischen Brücke besiegten seine Truppen tatsächlich die seines Gegners Maxentius – und Konstantin wurde zum Alleinherrscher Roms.

Die Traumdeutung war in der griechisch-römischen Antike eine Kunst, für deren Ausübung man langjährige Erfahrungen und einen umfassenden Wissensschatz mitbringen musste. Der Traumdeuter setzte sich mit Lebensumständen, Prägung und Gesundheitszustand der Träumenden genau auseinander. Biografische Details und gesellschaftlicher Stand wurden jeweils in die Deutung mit einbezogen. Ob reich oder arm, Bürger oder Sklave, Mann oder Frau, auch Ort und Situation des Traumes, waren dabei maßgeblich. Das Wissen der Oneirokritik, der Traumdeutung, wurde an Schüler oder innerhalb der Familie weitergegeben, außerhalb der Tempel fanden die Traumdeutungen auch auf Märkten statt – gegen entsprechende Bezahlung.

Ein umfangreiches Traumdeutungswerk entstand im 2. Jahrhundert mit den Oneirokritika des Artemidor von Daldis. Der Autor stellte darin, neben einem theoretischen Teil, auch einen Katalog mit Traumsymbolen und deren Bedeutung sowie knapp 100 Traumbeispiele, die er selbst gedeutet hatte vor. Artemidor unterschied zwischen den symbolisch verschlüsselten Träumen, aus denen sich eine Prophezeiung deuten ließ, und solchen, in denen Geträumtes und Realität sich nahezu entsprachen, außerdem die enhypnia, als ›Tagesreste‹ zu verstehende physiologische Vorgänge. Nur ersteren maß er überhaupt eine Deutungswürdigkeit zu. Seine Schriften geben aber Einblicke in die Ängste, Wünsche und Jenseitsvorstellungen der antiken Gesellschaft.


»Abwärts wend ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht.«

Novalis, Hymnen an die Nacht


Jenseitsreisen und Erkenntnistheorie

Traumbücher meist anonymer Verfasser fanden auch im Mittelalter beachtliche Verbreitung, antike Quellen wurden damals jedoch oft zugunsten einer christlichen Auslegung übertragen. Häufig nahm man auch Bezug auf die Traumbeschreibungen aus der Bibel, und auch dort sind es wiederum Prophezeiungen, göttliche Mitteilungen an den Menschen. In einem Traum des Jakob erscheint diesem eine Leiter, auf der Engel hinauf- und hinabsteigen. Ihre Spitze führt bis in den Himmel und dient als Verbindung zwischen Gott, dem Traumsender und Jakob, dem Traumempfänger. Von dort wird ihm gesagt, er werde Nachkommen haben, »zahlreich wie der Staub auf der Erde«, der sich in alle Himmelsrichtungen verstreut.

In der mittelalterlichen Literatur finden sich auch bedeutende Werke mit Traumbezug, wie das »Nibelungenlied« aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts. In diesem Heldenepos wird Kriemhild in ihren Träumen mit unheilvollen Visionen konfrontiert: dem Tod ihres zukünftigen Mannes, des Helden Siegfried, der letztlich zum Niedergang der Burgunden führt. Die Träume gewähren ihnen zwar auch hier Einblicke in die Zukunft, doch alle Versuche, sie nicht eintreten zu lassen, scheitern. Die Handelnden entkommen ihrem Schicksal nicht.

Ein Jahrhundert später betrat ein Mann die Traumbühne, dessen Hauptwerk von 1321 man insgesamt als Traumreise lesen kann: In Dante Alighieris »Divina Commedia«, der Göttlichen Komödie, verfällt der Protagonist gleich zu Beginn in einen tiefen Schlaf und findet sich in einen »finstern Wald verschlagen«. Nun beginnt eine Reise durch jenseitige Reiche – die Hölle, das Fegefeuer, und schließlich das Paradies. Im Verlauf der Erzählung wechseln die Ebenen zwischen geträumter Wirklichkeit und Traumerleben in ebendieser. Der jenseitige Begleiter des Ich-Erzählers fungiert zugleich auch als sein Traumdeuter – es ist Dantes’ antikes Vorbild, der Dichter Vergil. Auch wenn die »Divina Commedia« der Kulturgeschichte des Traums zugerechnet werden kann, blieb man im Mittelalter der Traumdeutung selbst, als einem eigentlich heidnischen Relikt, gegenüber misstrauisch.

Eine Novembernacht im Jahr 1619. Ein junger Franzose, Offizier im Dienst der Bayern, liegt am Ofen seines Quartiers – und träumt. Bis jetzt war es ein Albtraum: Er träumte, dass etwas seinen Körper zur Seite zog, kaum konnte er sich auf den Beinen halten. Dann geriet er in schweres Gewitter und wurde von Funken- und Donnerschlag geplagt. Doch nun träumt er von einem Text, der sein weiteres Wachleben für immer verändern sollte: Ein Fremder weist ihn auf ein Gedicht hin, dessen erste Worte »Est et Non« lauten. Nach diesem Traum war der Naturwissenschaftler und Soldat René Descartes überzeugt, auf seine Methode des steten Hinterfragens und Zweifelns gestoßen zu sein. Diese Methode lässt auch die Frage zu, ob die Gedanken, die uns im Traum kommen, nicht ebenso ›wahr‹ sind, wie jene in der Wachwelt. Alles durchläuft den Prozess des Zweifelns, wird geprüft, bis nur noch das Unbezweifelbare übrig bleibt: wenigstens der Denkende selbst, träumend oder wachend. Moderner wissenschaftlicher Diskurs, abendländischer Rationalismus – geboren aus einem Traum?


Hypnos, der griechische Gott des Schlafes. Ihm folgt sein Sohn Morpheus, der Traumbringer. Als Bruder des Todes lebt Hypnos dem Mythos nach in der Unterwelt, aber auch in einer dunklen Höhle, durch die der Fluss des Vergessens fließt.


Bronzener Kopf des Hypnos, griechischer Gott des Schlafes
British Museum, Wikimedia

Das Geheimnis und die Vernunft

Mit der Aufklärung rückte die – zumindest prophetische – Deutung der Träume in die Nähe des Aberglaubens oder gar des Wahnsinns. Das Träumen wurde von der Vernunft scharf getrennt, da es dieser zuwiderzulaufen schien. Immanuel Kant verstieg sich in seinem 1766 erschienenen Werk »Träume eines Geistersehers« gar zu der Aussage, insbesondere Frauen seien »vorzüglich geneigt, den Erzählungen der Wahrsagerei, der Traumdeutung und allerlei anderer wunderbarer Dinge Glauben beizumessen«. Für Kant ist der ›Verrückte‹ »ein Träumer im Wachen«. So könnte man sich aus der umgekehrten Perspektive Träumende als schlafende Verrückte vorstellen. Doch der mystische, geheimnisvolle Traum war noch lange nicht ausgeträumt.

Die Behauptung, dass Träume zu den in der Kunst am wenigsten erforschten Gebieten gehören, wird dem Maler Johann Heinrich Füssli zugeschrieben. Sein Gemälde »Der Nachtmahr« von 1781 zeigt eine auf dem Bett ausgestreckte Frau, bedrängt von einem albtraumhaften Dämon. Der mit den Werken Homers und Dantes vertraute Pfarrer setzte sich in seinen Gemälden immer wieder mit dem Traum auseinander, dabei ist seine Bildsprache voll mystischer und phantastischer Symbolkraft.

Um 1799 entstand Francisco de Goyas »El sueño de la razón produce monstruos – Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer«. Hier fliegen nächtliche ›Monstren‹ über einen am Tisch Eingeschlafenen: Eulen, Symbole sowohl für Weisheit als auch für nahenden Tod, die sich zu Fledermäusen wandeln. Eine der Eulen hält dabei eine Schreibfeder, als wolle sie den Träumer auffordern, das Geträumte nach seinem Erwachen zu Papier zu bringen. Auch heute empfehlen Schlafforscher zur Bewältigung von Albträumen ein Traumtagebuch zu führen – als Teil moderner Therapien.

In der Epoche der Romantik vermischte sich die Wach- mit der Traumwelt – zumindest für ihre künstlerischen Vertreter. Für sie gab es noch etwas abseits des rationalen Weltbildes der Aufklärung. Das Unerklärliche, das Phantastische rückte in den Mittelpunkt und der Traum wurde zum immer wiederkehrenden Motiv. Novalis schwärmte in seinen »Hymnen an die Nacht« von der »heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht«. In seinem Romanfragment »Heinrich von Ofterdingen« wird der Traum von der Blauen Blume zum Sinnbild für das Unbewusste, für die Erfüllung geheimer Wünsche. »Die Welt wird Traum, der Traum wird Welt« dichtete Novalis.

In E.T.A. Hoffmanns Werk ist die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit oft fließend. Hier lauern Wahnsinn, Abgründe der menschlichen Seele und eine düstere Zukunft. Bücher wie »Der Sandmann« oder »Die Elixiere des Teufels« gehören bis heute zu den Klassikern der Romantik. Der Jurist Hoffmann setzte sich aber auch mit den Traumtheorien und Heilungsmethoden seiner Zeit auseinander, z. B. der Hypnose, die er in seinen Büchern verarbeitete. Zwar sahen sich auch die Romantiker in ihrer Abkehr von der Klassik durchaus als ›modern‹, doch entstand daneben auch ein medizinisch-psychologisches Interesse an Träumen, sich ihnen säkular zu nähern.


Selbst ein Traum vom Treppensteigen wurde bei Freud sexuell gedeutet.


Alles nur unterdrückte Triebe?

Wien, Berggasse 19. Der elegante Altbau gilt als Geburtsort der Psychoanalyse. Hier schrieb Sigmund Freud sein einflussreiches Werk »Die Traumdeutung«, das 1899 erschien. Im Wartezimmer seiner Praxiswohnung hing auch eine Grafik von Füsslis’ Nachtmahr, zahlreiche Götterstatuen und archaische Kunstobjekte bevölkerten die Regale. Schwere Teppiche und Samtkissen bedeckten die berühmte Behandlungscouch, auf dem seine Patienten ihre intimsten Träume schilderten – nichts sollten sie auslassen. Doch sah sich Freud als Rationalist, Träume interpretierte er als verschlüsselte Wünsche, als unterdrückte Triebe, die es methodisch zu entschlüsseln galt. Mythisches fand für ihn darin keinen Platz, obwohl er hinter den Traummotiven eine ›zensierende Kraft‹ sah: Diese sollte den Träumenden vor seinen eigenen, dunklen Abgründen schützen, was wiederum die Traumszenen häufig absurd und unverständlich erscheinen ließ.

Freud wollte die Träume analysieren, um die Ursachen für die Neurosen seiner Patienten zu erkennen und sie zu heilen. Hierbei waren es gerade die sogenannten ›Tagesreste‹, die im Traum wiederkehrenden Ereignisse vom Vortag oder Erinnerungen aus der Zeit vor dem Traum, die enhypnia, die Artemidor von Daldis als nicht deutungswürdig betrachtete. Sie waren Freuds Traummaterial für seine Psychoanalyse. Doch war in Freuds Analyse auffällig oft der unterdrückte Sexualtrieb Quelle des Leidens. Selbst ein Traum vom Treppensteigen wurde bei ihm als sexueller Vorgang gedeutet. Die Traumdeutung wurde bei Freud so zur Via Regia, der Königsstraße, die zu einer erfüllten Libido führen sollte.

Sein ehemaliger Mitarbeiter Carl Gustav Jung folgte ihm zwar in der grundsätzlichen Annahme der Bedeutung der Sexualität bei der Traumanalyse. Er interpretierte sie aber nicht als reinen Trieb, sondern als eine schöpferische Urkraft, die die körperlichen Vorgänge steuere. Diese Urkräfte wirken nach C. G. Jung auch als Archetypen, Urbildern wie Anima und Animus, den Seelenbildern des Weiblichen und Männlichen, die verdrängt würden. Dem rationalistischen Zeitgeist wollte Jung eine ›Wiederverzauberung der Welt‹ entgegensetzen. Den Menschen fehle es in erster Linie an der Sinnerfüllung ihres Lebens, nicht so sehr an sexueller Freiheit.

Ohne auf diese wie auch auf die künstlerische Freiheit verzichten zu wollen, dienten Träume einem besonders exzentrischen spanischen Maler als Inspirationsquelle. Salvador Dalí war in den 1920er-Jahren fasziniert von Freuds Werk und lernte diesen später auch persönlich kennen. Doch Dalí analysierte seine eigenen Träume bereits selbst und brachte sie mit dem Pinsel auf die Leinwand. Ängste, Phantasien, Erinnerungen, all das verarbeitete er zu bizarren Landschaften, Fabelwesen und oft zu Phallus- und Fruchtbarkeitssymbolen. Auch Klänge scheinen im Traum eine wichtige Rolle zu spielen: Paul McCartney erträumte seine Melodie zu »Yesterday« im Schlaf und erinnerte sich nach dem Aufwachen zu seiner Freude – und der seiner Fans – noch an die Noten. Auch heute gehen Schlafforscher davon aus, dass unser tägliches Erleben sich häufig in unseren Träumen wiederfindet. Wer tagsüber Musik hört oder sogar selbst musiziert, den begleiten auch nachts Melodien.

War der Traum in der Antike eine göttliche Botschaft für die Zukunft, blieb er auf der Couch der Psychoanalytiker und in den Werken der Künstler vor allem Erinnerungsarbeit. Bleiben diese ›Trugbilder‹, draugma, wie ihre indoeuropäische Bezeichnung lautete, trotz aller mythischen und psychologischen Deutungen für ›Unbefugte verboten‹? Oder lässt sich das Geträumte nicht nur interpretieren, in Texten, Bildern und Liedern ›nacherzählen‹ – sondern tatsächlich direkt messen, vielleicht sogar für andere sichtbar machen?


100 Billionen Synapsen, die ständig elektrochemische Signale mit Informationen weiterleiten.

Freisetzung von Neurotransmittern in der Synapse


Synapse, Freisetzung von Neurotransmittern an der synaptischen Verbindungsstelle
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Auf der Suche nach dem ›Traummaß‹

Über 80 Milliarden Nervenzellen, vernetzt durch 100 Billionen Synapsen, die ununterbrochen elektrochemische Signale mit Informationen weiterleiten: In unserem Gehirn, dieser rund 1,3 Kilogramm schweren grauen Masse, findet selbst während wir schlafen, ein Dauerfeuerwerk statt, das auch unsere Träume ›befeuert‹. Forschungen zeigen, dass die dafür zuständigen Nervenbahnen und Gehirnareale schon vor der Geburt aktiv sind: Ungeborene zeigen Anzeichen, dass sie träumen, vermutlich von ihren eigenen Sinneseindrücken – der Stimme ihrer Mutter oder Berührungen über den Bauch.

Während auf der Couch des Psychoanalytikers die Seelen noch durch Gespräche erforscht wurden, untersuchte der Neurologe und Psychiater Hans Berger bereits 1924 mittels Elektroden auf der Kopfhaut seiner Probanden deren Gehirnströme. Sein Elektrenkephalogramm, heute kurz EEG, zeichnete hektische Kurven, mal flacher, mal höher verlaufend, sich wie Wellen, dann wie ein Gebirgsrelief auftürmend. Damit konnte er erstmals die elektrische Aktivität des Gehirns festhalten. Berger war in seiner Schrift »Psyche« von 1940 bereits überzeugt, erkennen zu können, wann der Schlafende träumt. Denn in einer besonderen Phase des Schlafes ist das Gehirn ähnlich aktiv wie im Wachzustand.

Schnell jagen die Augen den Szenen hinterher, die sich gerade im Gehirn abspielen. Jetzt geht es weiter zum nächsten Bild, dort oben, dann nach rechts und wieder zurück. Nicht die Tiefschlafphase ist die beste Vorstellungszeit für das nächtliche Kopfkinoprogramm, sondern die Rapid Eye Movements– die REM-Phase. In dieser Schlafphase träumen wir besonders intensiv. Die Augen bewegen sich schnell hin und her, doch ist unser übriger Körper wie gelähmt, denn wir würden sonst unsere Träume ›mitspielen‹. Ein nächtlicher Stunt – mit gefährlichen Folgen. Als Erwachsene verbringen wir etwa zwei Stunden pro Nacht im REM-Schlaf. Wer in dieser Phase aufwacht, kann sich meistens an das Geträumte erinnern und es erzählen, wenn er will. Wann jemand träumt, können Wissenschaftler anhand der Aufzeichnungen des EEG also erkennen. Doch auch die Handlung des Traumdrehbuches zu beeinflussen, ist durchaus möglich.


Ungeborene träumen vermutlich von ihren Sinneseindrücken – der Stimme der Mutter oder den Berührungen des Bauches.


Nächtliches Kopfkino mit Werbeblock

Sie nennen sich Oneironauten oder luzide Träumer. Wer sich während seines Traumes darüber bewusst ist, dass er gerade träumt, hat einen sogenannten Klartraum, einen luziden Traum. Frauen öfter als Männer, jüngere häufiger als ältere Menschen. Schon seit den 1970er-Jahren wird hierzu geforscht. Der Psychologe Stephen LaBerge kommunizierte bereits über vorher vereinbarte Zeichen, wie bestimmten Augenbewegungen, aus seinem Traum heraus. Auch in der Psychotherapie wird luzides Träumen als Behandlungsansatz untersucht, z. B. zur Verarbeitung traumatischer Erlebnisse. Wer bewusst in seinen Albtraum eingreifen kann, um ihn positiv zu lenken, hat auch einen erholsameren Schlaf. Doch spontan ist diese Art zu träumen selten, denn um regelmäßig luzide Träume zu erleben, braucht es Übung. Auch das Üben im Klartraum selbst ist laut Schlafforschern wie Michael Schredl möglich: Wer z. B. als Sportler oder Musiker schon mit bestimmten Bewegungsabläufen vertraut ist, kann sie im Schlaf noch verbessern. Nur der Traum vom Fliegen wird wohl noch eine Weile dort bleiben.

Doch nachts, wenn wir besonders empfindlich sind, wird uns im Traum womöglich bald nicht mehr nur ein Konzert oder ein Wettkampf erscheinen, sondern dazwischen noch ein Werbeblock, um das Verlangen nach bestimmten Produkten auszulösen. Schon Edward Bernays, ein Neffe Sigmund Freuds, ließ sich bei seinen Marketingkampagnen von den Theorien seines berühmten Onkels inspirieren und führte die Macht des Unbewussten durch manipulative Weise in die Werbung ein. Durch unterschwellige Reize und der Assoziation von Produkten wie Zigaretten mit ›Freiheit‹ steigerte er die Verkaufszahlen seiner Auftraggeber.

Bereits heute kann das Abspielen von geschickt platzierter Werbung kurz vor dem Einschlafen zu ähnlichen Effekten führen. In den USA startete eine Brauerei mit Unterstützung einer Harvard-Traumforscherin eine »Schlafstudie«, um Träumende dazu zu bringen, von Bier zu träumen. Die Testpersonen wurden an ein EEG angeschlossen, nachdem man ihnen Filme von Wasserfällen und Bergen zeigte, in denen immer wieder kurze Sequenzen des Produkts auftauchten, dann wurden sie in der REM-Phase geweckt. Das Experiment war offenbar erfolgreich, die Probanden hatten tatsächlich von der Biermarke geträumt.

Aber auch aus medizinischer Sicht positive Resultate scheinen offenbar möglich: In einer ebenfalls im Schlaflabor durchgeführten Versuchsreihe wurde Rauchern, während sie schliefen, der Geruch von Zigaretten und faulen Eiern verabreicht. Ein Drittel der Probanden reduzierte ihren Nikotinkonsum anschließend. Auch während wir träumen, sind wir also für Beeinflussungen von außen empfänglich. All die technischen Geräte, die uns »den Alltag erleichtern sollen«, sind auch im Schlaf immer in unserer Nähe.

Dream Sharing – Fiktion oder wissenschaftliche Erkenntnis?

Die Müdigkeit überkommt uns, langsam gleiten wir in den Schlaf hinüber, unser Bewusstsein für Raum und Zeit verzerrt sich, wir sind entspannt und haben meist angenehme Sinneseindrücke. Manchmal erschrecken wir auch, weil wir in dieser oft nur wenige Minuten dauernden Phase meinen, aus großer Höhe zu fallen. Plötzlich sind wir wieder da. Haben wir geträumt? Diesen als Hypnagogie bezeichneten Zustand nutzten schon Kreative wie der oben erwähnte Salvador Dalí, aber auch Edgar Allan Poe oder Nikola Tesla zur ›Befeuerung‹ ihrer Ideen. Bei E.T.A. Hoffmann war es »jenes Delirieren, das dem Einschlafen vorherzugehen pflegt«.

Am MIT, dem Massachusetts Institute of Technology beschäftigen sich Neurowissenschaftler mit dieser Übergangsphase von der Wach- zur Traumwelt. Ein Armband soll bei der Targeted Dream Incubation, dem gezielten Eingreifen in unsere Träume, helfen. Dormio heißt das Gerät, das um das Handgelenk und die Finger gelegt wird. Biosignale werden verarbeitet, Muskeltonus und Herzfrequenz überwacht. Die Probanden erhalten Audiohinweise, z. B. bestimmte Begriffe ›zugespielt‹, die sich in ihren Träumen festsetzen sollen. Offenbar mit Erfolg, denn die bisherigen Versuchspersonen gaben an, dass genau diese Begriffe in ihren Trauminhalten vorkamen.

Etwa 2000 Meilen entfernt will man bereits die Gedanken entschlüsseln. In einem Kernspintomografen an der University of Texas in Austin, schaut man den Probanden tief in die Köpfe. Auch hierbei handelt es sich um einen nichtinvasiven Eingriff, um eine funktionelle Magnetresonanztomografie. Während der Untersuchung soll eine Art ›Decoder‹ die Gedanken, die die Testperson hat, mitlesen. Zwar kann laut dem Neurowissenschaftler Alexander Huth, einem Leiter der Studie, der Decoder noch nicht alles Wort für Wort entschlüsseln, aber er versteht bereits die übergeordnete Bedeutung der Gedanken. Sind solche Gehirnscans die Grundlage für ein Brain-Computer-Interface, eine Schnittstelle mit der unsere Träume geteilt werden können? Auch Alexander Huth räumt ein, dass es manchen Menschen bei diesem Gedanken gruselt. Doch es wird weltweit an diesem Neuronenfeuerwerk im menschlichen Gehirn geforscht – mit beachtlichen Fortschritten und enormen Etats. Beim Experiment in Texas jedenfalls waren die Testpersonen noch wach und nahmen freiwillig teil.


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