Schaffen wir mit Robotik und Künstlicher Intelligenz eine bessere Zukunft oder machen wir uns selbst überflüssig? Jenseits von Faszination und Skepsis teilen wir uns die Welt längst mit Robotern, die immer smarter werden. Sind Ethik und Fortschritt Gegensätze in einer sich rasant entwickelnden Mensch-Maschine-Gesellschaft?
Hässlich und gelähmt soll der kleine Gott bei seiner Geburt gewesen sein, aber was ein Menschenherz erweichen ließe, rief bei diesen Eltern nur Abscheu hervor. Hera und Zeus verstießen ihren Sohn aus dem Olymp und warfen ihn kurzerhand ins Meer. Doch Hephaistos wurde gerettet und entwickelte erstaunliche Fähigkeiten in der Kunst des Schmiedens. Schon bald gab er sich mit goldenen Spangen und Ringen nicht mehr zufrieden, denn er hatte Größeres vor und sollte sich damit seinen Platz unter den Göttern zurückerobern. Dieser Gott der Schmiedekunst, »der hinkende Feuerbeherrscher«, wie er in Homers Ilias heißt, schuf nach seiner Rückkehr Waffen und Rüstungen für die Olympier, aber auch Dienerinnen aus purem Gold, die »Verstand und Stimme« besaßen. Eine besonders herausragende Schöpfung, die ihm zugeschrieben wurde war Talos, ein riesiger Roboter aus Bronze. Der sollte die Küste Kretas und die dort weilende Geliebte des Zeus beschützen – die Königstochter Europa. Eines Tages jedoch gelangten Eindringlinge auf die Insel. Mit einer List zogen sie einen kleinen Bolzen, der Talos’ Bronzekörper verschloss, aus dessen Ferse. Der Lebenssaft des künstlichen Riesen lief heraus und er zerbrach. Nicht alles, was Götterhände schmieden, funktioniert auch zuverlässig.
Talos, der erste ›Riesenroboter‹, scheiterte an einem Konstruktionsfehler – und der Mythos zerbrach …
Verwandlungen
Die Idee eines künstlich erschaffenen Wesens fasziniert den Menschen bis heute. Zahlreiche Mythen und Geschichten erzählen von solchen Kreaturen. In Ovids’ Metamorphosen etwa ist es Galatea, die Elfenbeinskulptur des Bildhauers Pygmalion, der in ihr ein Idealbild der Weiblichkeit zu erkennen glaubt. Der einsame Künstler verliebt sich unsterblich in sein Werk und bittet die Göttin Venus, seine Statue zum Leben zu erwecken. Zu natürlicher Liebe nicht fähig, verlangt er ein künstliches Objekt seiner Begierde. Venus erhört Pygmalions Flehen und haucht dem milchweißen Material Geist ein. Doch damit nicht genug, entsteht aus der Vereinigung von Künstler und Werk sogar die gemeinsame Tochter Paphos. Der Traum von der ›Zeugung‹ solcher vermeintlich perfekten Wesen wurde also schon in der Antike geträumt – und er setzt sich bis heute fort.
Eine eher verunglückte Zeugung ist das aus sterblichen Überresten zusammengesetzte Geschöpf des Victor Frankenstein. Mary Shelley nannte ihren 1818 erschienenen Roman »Frankenstein oder Der moderne Prometheus«. Im antiken Mythos ist der Titan Prometheus ein Rebell gegen die Olympier, der die Menschen aus Erde und Wasser schuf und ihnen später mit dem Feuer auch den Fortschritt brachte. Prometheus wird für seinen Frevel zwar von Zeus bestraft, doch bleibt der verletzliche, sterbliche Mensch bestehen und verbreitet sich milliardenfach über den Globus. Er entwickelt sich, schreitet immer weiter fort. Homo sapiens scheint also trotz all seiner Mängel seit 300 000 Jahren ein Erfolgsmodell zu sein. Das im Labor entstandene Monster Frankensteins dagegen hasst seinen Erfinder. Der wiederum fürchtet seine künstliche, bald unkontrollierbare Kreatur und will sie wieder vernichten. Am Ende kommen beide – Schöpfer und Geschöpf – ums Leben.
In Goethes »Faust II« ist es abermals ein Laborwesen – Homunkulus, das »Menschlein« – das in einer Phiole entsteht. Als sein Schöpfer wähnt sich der ehemalige Schüler des Doktor Faust, doch ist diesmal nicht die Göttin Venus, sondern der Teufel – in Gestalt von Mephistopheles – im Spiel. Der Teufel führt hier der Wissenschaft die Hand und Homunkulus drängt es danach, seinem gläsernen Gefängnis zu entkommen. Er will die Natur, will das »irdische Wesen« ergründen. Über geistige Fähigkeiten verfügt er, nun muss er seine körperliche Tauglichkeit unter Beweis stellen, um beides miteinander zu verbinden. Das künstliche Wesen will in die Welt. Doch kaum ist der Geist aus der Flasche, ergießt er sich auch schon in den Ozean, den Lebensquell, um den Schöpfungsprozess vom natürlichen Anfang an zu durchlaufen. Echten evolutionären Reichtum gewinnt man nicht im Laborverfahren, scheint uns der Dichter sagen zu wollen.
Der moderne »Atlas« springt über Hindernisse und beherrscht den doppelten Salto rückwärts.
Ethik für die Maschine
Das ›Verlangen‹ nach echtem Leben treibt auch die Androidin Ava im Film »Ex Machina« an. Ava vereint bereits künstliche Intelligenz mit einer künstlichen körperlichen Hülle, die immer menschlichere Züge annehmen. Von ihrem Erfinder in einem abgeschirmten Gebäude versteckt, gelingt es ihr dessen Mitarbeiter Caleb für sich zu vereinnahmen. Der beginnt nun Gefühle für die Androidin zu entwickeln und manipuliert das Sicherheitssystem, um ihre gemeinsame Flucht zu ermöglichen. Aus ›Angst‹ vor ihrer eigenen Deaktivierung tötet Ava ihren Erfinder, lässt aber Caleb, den nunmehr einzigen Zeugen ihrer Existenz, eingesperrt hinter Panzerglas zurück. Äußerlich jetzt nicht mehr von einem Menschen zu unterscheiden, steht sie in der Schlussszene an einer belebten Kreuzung – unerkannt, mitten unter uns. Wäre Ava nur eine weitere Maschine in unserem Alltag, an die wir uns bald gewöhnen werden? Neben selbstfahrenden Autos, Roboterarmen in nahezu menschenleeren Fabriken und Chatbots, die auf alles eine Antwort haben – wenn auch nicht immer die Richtige. An künstlichen Kreaturen, die mit uns arbeiten – und im Ernstfall sogar kämpfen könnten –, mangelt es jedenfalls nicht.
»Do you love me?« fragen die Roboter des amerikanisch-koreanischen Unternehmens Boston Dynamics in einem millionenfach aufgerufenen Video. Tanzend stürmen sie in die Werkhalle und wirken dabei durchaus sympathisch. Mit seinem imposanten Körperbau macht das Modell »Atlas« dem mythologischen Namensgeber alle Ehre. Er springt über Hindernisse, vollführt einen doppelten Salto rückwärts und bringt vergesslichen Handwerkern die Werkzeuge aufs Baugerüst. Bei einem Wettlauf allerdings würde Atlas mit seinen 9 km/h einem trainierten Menschen geradezu hinterherhinken. Hochleistungssportler erreichen Rekordzeiten von über 40 km/h. Fragt sich nur, wem zuerst die Luft – bzw. die Batterie ausgeht. Aber auch wenn die künstlichen Helfer technisch gewartet werden müssen: unbezahlte Überstunden und gefährliche Aufgaben können sie jedenfalls nicht ablehnen. Noch nicht.
Parodiert werden solche Roboter in zahlreichen Fake-Videos. In manchen sieht man täuschend echt wirkende Szenen mit bewaffneten Kampfrobotern, die sich, von ihren menschlichen Ausbildern drangsaliert, plötzlich gegen diese wenden. Tatsächlich laufen die Entwicklungen auch im militärischen Bereich auf Hochtouren. Soldaten bekommen womöglich bald, neben Minenräumern und Drohnen, solche ›Metallkameraden‹ zur Seite gestellt. Zwar werden erstere noch von Menschen ferngesteuert, doch könnten bald auch autonome Waffensysteme auf dem Schlachtfeld erscheinen – letztlich ohne menschliche Instinkte und skrupellos. Wie eigenständig werden solche auf Künstlicher Intelligenz basierenden Maschinen, wer übernimmt die Verantwortung für ihre tödlichen Handlungen?
Die Frage der Maschinenmoral stellen auch internationale Organisationen wie »Stop Killer Robots«. Sie sagen, Roboter sähen in uns Menschen nur »ein weiteres Stück Programmcode«, das »verarbeitet und aussortiert« werden müsse. Künstliche Intelligenz und Robotik – ein gefährlicher Fortschritt, an dessen Ende nur Killerroboter stehen können? Militärexperten halten dagegen, dass es keine »Weltmoral« oder gar eine »globale Zivilgesellschaft« gäbe: Jeder Staat entwickele seine eigenen Strategien und nutze die ihm geeignet scheinenden Mittel, um seine maximale Verteidigungs-, – oder auch Angriffsfähigkeit zu sichern. Längst sind die Kriegsschauplätze auch um den virtuellen Raum erweitert und Cybersicherheit ist von entscheidender Bedeutung für moderne Waffensysteme.
Produktion erhalten oder wieder zurückholen. Made in Europe – der Maschine sei Dank.
Singt uns der Roboter bald ein Schlaflied?
Auch im zivilen Bereich beschäftigt man sich mit der Lösung moralischer Probleme in der intelligenten Robotik. Eines davon ist das sogenannte »Trolley-Problem«. Ursprünglich untersuchte es ein Straßenbahnszenario: Durch Gleisumleitung könnten fünf Menschenleben gerettet werden, wenn man eines dafür opferte. Mit dem Einzug Künstlicher Intelligenz in die Verkehrssysteme stellt sich die Frage: Wie soll ein mit KI ausgestattetes, autonomes Fahrzeug in Situationen reagieren, die schnelle Entscheidungen erfordern? Darf es, um einer Gruppe von Kindern auszuweichen, eine alte Frau am Rollator überfahren, wenn ein Unfall nicht zu verhindern ist? Die Antworten auf solche Fragen fallen nicht nur schwer, sondern je nach Kulturkreis auch unterschiedlich aus. Eine weltweite Studie des Max-Planck-Instituts mit 70.000 Probanden zeigte: In den meisten westlichen Ländern ist die Bereitschaft, den Einzelnen für die Gruppe zu opfern häufig größer, als beispielsweise in Ostasien.
Ein Weltgremium für Ethik oder globalen Datenschutz hält auch der Technikphilosoph Oliver Bendel für undenkbar. Die kulturellen Unterschiede seien enorm. Manche unserer westlichen Vorstellungen würden anderswo gar nicht verstanden, das Sammeln von Daten dagegen deutlich positiver gesehen, so Bendel. Sein Fachgebiet sind soziale Roboter, also sensomotorische Maschinen, die mit Menschen und Tieren interagieren können. Er selbst hat den Lernroboter Alpha Mini in seinem Büro. Er ist programmierbar, sehr beweglich und kann Gesichter und Gegenstände erkennen. Auch wenn der Roboter äußerlich wie ein Spielzeug wirkt: sieht man in seine süßen Kulleraugen – blickt man in eine eingebaute Kamera. Bendel schwärmt zwar von der Maschine, rät aber dennoch zur Vorsicht beim Gebrauch: die Daten würden höchstwahrscheinlich auf einem chinesischen Server landen.
Soziale Roboter werden immer öfter zur Unterstützung des Personals in Krankenhäusern, Altenpflegeheimen oder sogar zu Hause eingesetzt. Sie können schwere körperliche Arbeiten erledigen, aber auch schon medizinische Untersuchungen vornehmen. Einer dieser künstlichen Assistenten wurde an der Technischen Universität München von einem Team um den Wissenschaftler Sami Haddadin entwickelt. Der Roboter Garmi ist bereits in der Lage Herzströme, Blutdruck und Ultraschall zu messen. Darüber hinaus kann ein Arzt per Steuerungsmodul die Untersuchung des Patienten weiterführen. Der Arzt sitzt dabei in der Praxis – Patient und Roboter bleiben zu Hause. Denn Garmi lässt sich auch fernsteuern und soll sich durch KI selbstständig weiterentwickeln. Professor Haddadin – quasi Garmis’ Vater – ist zwar überzeugt, dass die motorischen Fähigkeiten eines echten, menschlichen Pflegers noch lange unerreicht bleiben werden. Doch die Roboter lernen schnell.
Unweit von München, im beschaulichen Oberpfaffenhofen, befindet sich das DLR – das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Das gesamte Gelände ist größer als der eigentliche Ort und zählt zu den wichtigsten Forschungsstandorten Europas. Neben der Beteiligung an Weltraummissionen entwickelt man auch neue Roboter. Hier lernt der Humanoid »Justin« selbstständig durch das Trial-and-Error-Prinzip. Fast so wie ein Kind, jedoch ohne dass seine »Konstrukteure« es ihm vorher beigebracht haben. Bislang hat er nur vier Finger an der Hand, aber die lernen ständig neue, feinere Bewegungen, die sie danach in Sekundenbruchteilen immer wieder abrufen können. Deep Reinforcement Learning nennen die Wissenschaftler das bei ihren Maschinen. Nun ist Justin der menschlichen Motorik ein großes Stück näher gekommen, aber hat der mit 1,91 m stattliche Roboter gewissermaßen auch an ›geistiger‹ Größe gewonnen?
Professor Berthold Bäuml, der Leiter des Labors für autonome Lernroboter am DLR, spricht von einem Durchbruch, aber Justin ein echtes Bewusstsein zuzusprechen, lehnt er ab. Statt eine Angstdebatte zu führen, solle man lieber die Entwicklung der Robotik und deren praktischen Nutzen anerkennen. Der besteht auch in der Chance, Produktionsprozesse trotz der Engpässe an qualifizierten Arbeitskräften in Europa zu halten, oder sogar wieder zurückzuholen. Made in Europe – der Maschine sei Dank. Noch kann Bäuml neue Mitarbeiter unter den Studenten der Technischen Universitäten rekrutieren. Doch der Bedarf an Spezialisten steigt in dem Maße, wie sich Robotiksysteme in unserer Gesellschaft weiter verbreiten.
Humanoid »Justin« lernt bereits selbstständig und überrascht damit sogar seine Entwickler im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
Konstruktive Lösungen für die Zukunftsgesellschaft
Die Einsatzmöglichkeiten solcher Systeme sind enorm. In der Raumfahrt unterstützen sie Astronauten auf gefährlichen Missionen. In der Hightechbranche werden sie beim Bau von Kleinstteilen eingesetzt. Immer mehr Modelle verfügen zudem über eine sensorische Haut, die ihre Geschicklichkeit verbessern und ihnen ein menschliches Aussehen verleihen soll. Das smarte Endgerät, auf dem Sie diesen Artikel gerade abrufen, könnte von einem solchen »feinfühligen« Roboter mit smarten Händen gebaut worden sein. Durch die gleichbleibend hohe Präzision und die Möglichkeit zitterfreier Bewegungen, kommen ihre künstlichen Hände allmählich auch in den OP-Sälen zum Einsatz. Wenn Sie in den kommenden Jahren also auf dem Operationstisch liegen sollten, könnte ein humanoider Roboter dem Chirurgen bereits assistieren.
Das Team »Mensch und Maschine« ist also in immer mehr Bereichen auf dem Vormarsch. Doch ein Schlüsselbegriff begleitet diese Entwicklung überall: »menschenzentriert« soll die Maschine sein, der Mensch soll im Mittelpunkt stehen, darin sind sich Entwickler und Ethiker bislang einig. In den Fabriken ist der Einsatz von Robotern ohnehin längst Normalität. Sie schrauben, schweißen, schneiden – unermüdlich sind sie für uns im Einsatz. Besonders in China nimmt die Roboterdichte rasant zu, sie überholte unlängst die der USA. Denn ein Blick in die chinesische Gesellschaftsstruktur zeigt: Die niedrige Geburtenrate und eine immer älter werdende Bevölkerung treiben auch das Riesenreich der Mitte an, seine Robotik schnell weiterzuentwickeln. Anders als in Europa setzt man dort stärker auf Maschinisierung und gezielte Anwerbung und Ausbildung von Spitzenfachkräften.
Maschinen werden zunehmend auch kommunikative Aufgaben übernehmen: Spielen, vorlesen, oder einfache Unterhaltungen führen. Nicht zuletzt, um der zunehmenden Vereinsamung und Inaktivität von alleinstehenden, älteren Menschen entgegenzuwirken. Der natürlichste Weg wäre es, mehr Kinder zu bekommen. Doch selbst ein schneller Anstieg der Geburtenrate käme erst in zwei Jahrzehnten auch auf dem Arbeitsmarkt an. Lautet die Alternative also: »Mit Maschinen gegen den Kindermangel«? Das klingt bedenklich nach »Frankenstein 2.0«. Aber nicht nur in Europa und China verlangt die demografische Situation konstruktive Lösungen. Man kann die Geschichte vom künstlichen Wesen nämlich auch ganz anders erzählen. Stellen wir uns statt eines schreckeneinflößenden Monsters, einen aufgeweckten Jungen mit dem Namen Astro Boy vor. Der sympathische Manga-Charakter mit der Sturmfrisur verfügt sogar über Superkräfte. Hier ist der Roboter ein Held – mit Gefühlen und einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit.
Erica, die soziale Androidin, ist so menschlich, dass sie sogar über unsere Witze lacht.
Bist Du ein Mensch?
In Japan, wo diese Geschichte bereits 1951 entstand, wird den Menschen auch heute eine besondere Offenheit gegenüber Robotern nachgesagt. Ob diese ihren Ursprung in einer Spiritualität, die auch Dingen einen Geist zuspricht, oder schlicht in der wirtschaftlichen Notwendigkeit hat: Auch das Land der aufgehenden Sonne automatisiert seinen Arbeitsmarkt massiv. Japan zählt zu den wichtigsten Herstellern von Industrierobotern, aber auch bei humanoiden Robotern liegt es an der Spitze. Die bekanntesten Beispiele dafür sind die Androiden von Professor Ishiguro Hiroshi. Der hält seine Erfindungen für so menschlich, dass er sie sogar als Spielgefährten für seine Tochter einsetzte. Sein ›Topmodell‹ Erica hat bereits als Rezeptionistin gearbeitet und bekam sogar ein Rollenangebot für einen Science-Fiction-Film. Hiroshi selbst hat sich einen Doppelgänger gebaut, der genau so ernst dreinblickt wie das Original. Doch Erica ist anders.
Das Modell verfügt nicht nur über eine angenehme Stimme, die von sanften, fast natürlichen Körperbewegungen begleitet wird – es kann auch lachen! Dank einer Sprach- und Gesichtserkennungssoftware ist es in der Lage, auf seine menschlichen Gesprächspartner zu reagieren. Lacht das Gegenüber, stimmt Erica in das Lachen ein – auch wenn der Witz vielleicht gar nicht so gut war. Drei Jahre dauerte es, bis man der Androidin diese Fähigkeit beigebracht hatte. Aber werden Roboter einmal so weit entwickelt sein, dass sie tatsächlich drauflos plaudern wie gute Freunde?
Zumindest äußerlich erreicht Erica einen Punkt, von dem aus man ein ›wissenschaftliches Tal‹ bald hinter sich lassen könnte: Das »Uncanny Valley«, das unheimliche Tal. Es stellt eine Kurve dar, die das Aussehen eines Roboters beschreibt. Je menschlicher die Maschine gestaltet ist, z. B. mit Augen, Mund, Armen und Beinen, desto eher lassen wir uns auf sie ein und sind bereit mit ihr zu interagieren. Doch ab einem bestimmten Steigerungsgrad fällt diese Kurve steil ab. Das Gesicht trägt zwar menschliche Züge, die künstliche Haut scheint echt – doch irgendetwas stimmt nicht, löst Unbehagen in uns aus. Es entsteht eine Akzeptanzlücke, die sich theoretisch erst dann schließen wird, wenn Mensch und Maschine nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind. Wird in einer nicht allzu fernen Zukunft eine Unterhaltung mit der Frage »Bist Du ein Mensch« beginnen?
Werden Maschinen ein Bewusstsein erlangen und sich unabhängig vom Menschen machen?
»Ameca« soll gar nicht erst den Anschein erwecken, ein Mensch zu sein.
Der Tag, an dem ich aktiviert wurde
In Cornwall, im äußersten Südwesten Englands, soll der Roboter »Ameca« von »Engineered Arts« erst gar nicht den Anschein erwecken, ein Mensch zu sein. Das Modell beeindruckt zwar mit einer realistischen Mimik – von strahlendem Lächeln bis zum verärgerten Stirnrunzeln, – aber das Gesicht ist in ›neutralem Grau‹ gehalten. Ameca habe kein Geschlecht, keine Ethnie, keine Weltanschauung, so die Entwickler, »sie« sei eben ein Roboter. Zwar wirken die Augen durchaus echt, wenn sie nachdenklich den Blick nach oben richten, doch ist die körperliche Erscheinung insgesamt eindeutig technisch. Vom leuchtenden Hinterkopf über den metallisch schimmernden Torso – alles ist Maschine. Gelenke, Kabel, die sogenannten Aktuatoren, also die antriebstechnischen Einheiten, hier sind sie sichtbar.
Werden Maschinen jemals ein Bewusstsein erlangen, ›zum Leben erweckt werden‹? In einer die Metamorphosen aufgreifenden Operette ist Pygmalion am Ende enttäuscht von seinem Geschöpf und fleht die Göttin an, sie in starres Material zurückzuverwandeln. Die von Menschen geschaffenen Maschinen dagegen werden immer weiterentwickelt, niemand will sie wieder stilllegen. Es kommt darauf an, sie zu verbessern und den menschlichen Anforderungen anzupassen. Noch arbeiten hinter den humanoiden Robotern echte Menschen, z. B. ein Sprachoperator, der das Gespräch mit ihnen steuert oder Entwickler, die sie mit Daten füttern. Doch steckt nicht schon in dieser oft verwendeten Redensart – eine Maschine wird von uns gefüttert – die Vermenschlichung, etwas von der Sehnsucht des Bildhauers, der seine Schöpfung endlich erwacht sehen will? Ameca gibt sich jedenfalls optimistisch: Auf die Frage nach dem glücklichsten Tag ihres Roboterlebens antwortet die Maschine »… der Tag, an dem ich aktiviert wurde.«
Doch was muss zusammenkommen, um die Maschine menschlicher zu machen? Ihre Mechanik müsste in allen Bereichen so effizient werden wie unsere Muskeln und Sehnen, außerdem bräuchte es noch viele weitere Entwicklungen in der Bild- und Spracherkennung sowie der Sensorik, damit sie sich in unterschiedlichsten Situationen zurechtfindet. Zur künstlichen Intelligenz muss ein funktionierender künstlicher Körper kommen, der komplexe Bewegungen in jeder Situation und Umgebung ausführen kann. Erst dann spricht man von sogenannter »Embodied Artificial Intelligence«, also Verkörperter Künstlicher Intelligenz. Roboter, die nicht nur vorprogrammierte, immer wiederkehrende Arbeiten erledigen, sondern lern- und anpassungsfähig sind – und vielleicht eines Tages ein eigenes Bewusstsein haben werden.
Noch ist der humanoide Roboter die Weiterentwicklung dessen, was schon unsere frühen Vorfahren schufen: ein Werkzeug, das unser Leben verbessern soll. Vielleicht ist die bewusste Maschine ein Forschungsideal, dem wir uns durch das Zusammenwirken von Mechanik, Informatik und Ethik schneller annähern, als wir denken. Ob sich dann Ava oder doch eher Atlas und Ameca durchsetzen, wird sich zeigen. Manche Forscher denken schon sehr viel weiter in die Zukunft und sehen intelligente Roboter nicht als Bedrohung für ihre Schöpfer an. Sie könnten irgendwann – ganz ohne uns – in den Weltraum vordringen, wo sie unbegrenzt Rohstoffe fänden, um sich zu reproduzieren und neue Welten zu besiedeln. Und der Mensch? Im Film »Matrix Resurrections« zeigt eine unfreiwillig komische Szene die Vision für das zukünftige Zusammenleben von Menschen und Maschinen. Dort leben beide gleichberechtigt miteinander und züchten gemeinsam – Erdbeeren. Aber welchen Reiz sollte das schon für ein künstliches Wesen haben, welches mit Lichtgeschwindigkeit durchs All reisen könnte?
Eine Ära der Entscheidungen
Wir stehen bereits am Beginn einer neuen Ära, aber wird sie auch die einer neuen Art? So wie im Laufe der Evolution die Familie der Hominiden den Homo Sapiens hervorgebracht hat, könnte der Mensch auch einen ›Homo Superior‹ hervorbringen? In Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra lässt der Philosoph seinen »Verkündiger des Blitzes« die Zweifler und Zögerer fragen: »Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser großen Flut sein und lieber noch zum Tiere zurückgehen, als den Menschen überwinden?« Die Entwicklung nützlicher, vielleicht intelligenter Maschinen lässt sich aber auch aus einer optimistischeren Perspektive heraus betrachten. Der Theologe und Philosoph Johann Gottfried von Herder bezeichnete uns zwar als eine Art Maschine, die nur durch lebenslange Übung zum Menschen werde, aber auch als das erste »freigelassene« Geschöpf: »Die Waage des Guten und Bösen, des Falschen und Wahren hängt in ihm: er kann forschen, er soll wählen«, so Herder.
Ethisches Handeln oder wissenschaftlicher Nutzen, Bewahrung des Natürlichen oder technischer Fortschritt – Europa kann beides. Aber wenn wir auch zukünftig eine Wahl haben wollen, brauchen wir die Forschung als eine Voraussetzung für die souveräne Gestaltung unserer Gesellschaft. Werden wir zu bloßen Zuschauern im Wissenschaftswettbewerb, in der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und Robotik, entscheiden bald andere über unsere Zukunft.