Ritratto di F.T. Marinetti. Sintesi plastica, Enrico Prampolini - Turin Gallery for Modern and Contemporary Art, Italy - CC BY


Henrike Hans

Die italienische Avantgardebewegung »Futurismus« wurde 1909 mit der Veröffentlichung des Manifests Le Futurisme durch den Dichter Filippo Tommaso Marinetti gegründet. In der darin aufgestellten Behauptung »Schönheit gibt es nur noch im Kampf. Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein« wird Gewalt als ideologische Basis der Bewegung bekundet. War die ganzheitliche Erneuerung der Kunst und Kultur Italiens das Ziel der Futuristen, so teilten sie die Überzeugung, dass diese nur auf der (ideellen) Zerstörung tradierter kultureller und gesellschaftlicher Werte gründen könne.

Technischer Fortschritt und der Wille zur Macht

Am 20. Februar 1909 erschien auf der Titelseite der französischen Tageszeitung Le Figaro das Gründungsmanifest des Futurismus mit dem Titel Le Futurisme. Der Text war zwar in französischer Sprache verfasst und wurde in Frankreich veröffentlicht, er kündigte jedoch die Gründung einer Bewegung mit dem Namen Futurismus in Italien auf der Grundlage dortiger versäumter kultureller Entwicklungen an. Das Vorgehen war von Filippo Tommaso Marinetti, dem Verfasser des Manifests, wohlweißlich kalkuliert. Die Veröffentlichung in Frankreich nahm ihre Gründung in Italien vorweg und suggerierte eine bereits im Entstehen begriffene Avantgardebewegung, die mit der Rolle Italiens in der europäischen Kultur vertraut war und diese kritisch reflektierte. Zwar ließ Marinetti bereits im Januar 1909 Flugblätter mit dem Programm des Futurismus in Mailand verteilen und das Gründungsmanifest der Bewegung in seiner Zeitschrift Poesia abdrucken. Doch erst die Veröffentlichung im Figaro erfuhr die mediale Aufmerksamkeit, die Marinetti anstrebte. Er referierte im Manifest einen vermeintlich realen Kontext, der so jedoch keineswegs vorhanden war. Im Gegenteil, noch waren der Literat Marinetti und der Futurismus ein singuläres Ereignis in der italienischen Kunstwelt.

Der in Ägypten als Sohn wohlhabender Italiener geborene Marinetti lebte seit seinem 17. Lebensjahr in Paris. Nach seinem Gymnasialabschluss studierte er zunächst in Italien Rechtswissenschaften, kehrte jedoch bald in die französische Hauptstadt zurück und arbeitete als Dichter, Schriftsteller und Redakteur. In seinen Texten grenzte er sich vom Bürgertum ab und stellte seine Affinität zur Avantgarde heraus. Marinetti pflegte engen Kontakt zur kulturellen Szene in Paris, verkehrte mit den Schriftstellern Guillaume Apollinaire (1880–1918) und Paul Valéry (1871–1945). Seine familiäre Herkunft war für Marinetti sehr präsent, obwohl er selbst nur wenige Jahre in Italien gelebt hatte. Um die Jahrhundertwende zog er schließlich nach Mailand, in eine der modernsten Städte Italiens, und ließ sich in einer Wohnung in einer Seitenstraße des Corso Venezia nieder. Marinetti selbst berichtete: »Als ›bachelier des lettres‹ kam ich nach Mailand, französisch gebildet, aber unbeugsam italienisch, allem Pariser Zauber zum Trotz.« Ihm war durchaus bewusst, dass Mailand Paris kulturell in vielen Dingen nachstand, er sah sich sogar durch diesen Umstand in seinem italienischen Stolz angegriffen.

Das Manifest, das die Leser des Figaro im Februar 1909 zur Kenntnis nehmen konnten, begründete offiziell den Futurismus auf der Basis einer persönlichen Erzählung. Zu Beginn des Textes berichtet Marinetti von einer durchwachten Nacht, die »meine Freunde und ich [Marinetti]« in einer namenlosen Großstadt erleben, die als Mailand identifiziert werden kann. In Marinettis Beschreibung ist die laute, lebendige Stadt der Ort der Moderne, in dem ein neues Zeitalter beginnt. Die Formulierung im Wir-Modus benutzte er bewusst als Stilmittel, denn es wurde nachgewiesen, dass er das Manifest allein verfasst hat. Die verwendete Pluralform soll eine bereits gebildete Gruppe suggerieren. Die lichtdurchfluteten Straßen und die Geräusche der Fabriken halten die Freunde im Text wach, die fiebrige Schlaflosigkeit stachelt sie zu Taten an:


Wir zuckten auf einmal zusammen, als wir das dröhnende Geräusch der großen zweistöckigen Straßenbahnen hörten, die rüttelnd vorüber fahren, von bunten Lichtern erleuchtet, wie Dörfer an Festtagen, die der über seine Ufer getretene Po unversehens durcheinander-schüttelt und entwurzelt und sie über Kaskaden und durch die Strudel einer Sintflut ins Meer schleift.


Marinetti fordert die anderen elektrisiert auf:


Los, sagte ich, los, Freunde! Gehen wir! Endlich ist die Mythologie, ist das mystische Ideal überwunden. Wir werden der Geburt des Kentauren beiwohnen, und bald werden wir die ersten Engel fliegen sehen! […] Man muss an den Pforten des Lebens rütteln, um ihre Angeln und Riegel zu prüfen! […] Gehen wir!


Sein Enthusiasmus und sein Übermut angesichts des modernen, von Fortschritt geprägten Lebens sind unerschütterlich. Darüber hinaus deutet er im vorletzten Satz des Zitats auf seinen Willen zur Grenzüberschreitung hin. Dem Text zufolge verlassen die Männer den Schutz der Wohnung und begeben sich auf die tosende Straße zu ihren Automobilen, »den drei schnaufenden Bestien, um ihnen liebevoll ihre heißen Brüste zu streicheln«. Die bildreiche Sprache verleiht den Errungenschaften des modernen Lebens, die noch neu sind und sich erst in den Alltag der Stadt eingliedern müssen, menschliche wie tierische Attribute. Mit diesem Stilmittel suggeriert Marinetti ein Eigenleben der Maschinen, im konkreten Fall der Automobile. Die Autofahrt, die nun in der Erzählung anschließt, wird zur wilden Verfolgungsjagd, ein Erlebnis von vervielfachter Intensität. Marinetti versucht nicht, die Eindrücke zu ordnen, er gibt sie in schneller Sequenz wieder, ohne den Ursprung seiner Assoziationen mitzuteilen:


Und wir jagten dahin und zerquetschten auf den Hausschwellen die Wachhunde, die sich unter unseren heißgelaufenen Reifen wie Hemdkragen unter dem Bügeleisen bogen. Der zahm gewordene Tod überholte mich an jeder Kurve und reichte mir artig seine Tatze […].


Die Männer streben dem Kontrollverlust entgegen, in dem sie die Quelle der Vitalität zu erkennen glauben und Marinetti fordert seine Mitfahrer heraus:


Verlassen wir der Weisheit schreckliches Gehäuse, und werfen wir uns, wie mit Stolz gefärbte Früchte, in den riesigen und fletschenden Rachen des Windes! […] Werfen wir uns dem Unbekannten zum Fraß hin, nicht aus Verzweiflung, sondern nur, um die tiefen Brunnen des Absurden zu füllen.


Der Übermut erreicht seinen Höhepunkt in der Kollision mit zwei Radfahrern, nach der sich Marinetti in einem Graben wiederfindet. Doch der Vorfall hinterlässt keine Furcht vor der Technik und dem Tod, vielmehr betrachtet er sein Dasein intensiver als zuvor: »Als ich wie ein schmutziger, stinkender Lappen unter meinem auf dem Kopf stehenden Auto hervorkroch, fühlte ich die Freude wie ein glühendes Eisen erquickend mein Herz durchdringen!«

Neben Marinetti selbst ist auch der Wagen »wieder zu beleben«. Längst hat die Dynamik der Fahrt und des Unfalls die Kategorie der Dauer außer Kraft gesetzt, sodass ein überzeitlicher Erzählrahmen entsteht. Vielmehr bildet der Unfall mit der anschließenden Auferstehung aus dem schlammigen Graben den Kern des futuristischen Gründungsmythos:


Da, das Antlitz vom guten Fabrikschleim bedeckt – diesem Gemisch aus Metallschlacke, nutzlosem Schweiß und himmlischem Ruß –, zerbeult und mit verbundenen Armen, aber unerschrocken, diktierten wir unseren ersten Willen allen lebendigen Menschen dieser Erde […].


Mit dieser Auferstehung verkündet Marinetti der Welt die elf Thesen des Futurismus. Es handelt sich dabei um kurze Sätze im Stakkato, die gleichermaßen Bekenntnis wie Anleitung sind. Das Erlebte resümierend beginnt die erste Verlautbarung mit dem Dogma, als Futurist »die Liebe zur Gefahr [zu] besingen, die Vertrautheit mit Energie und Verwegenheit« zu erleben. Anschließend fordert Marinetti die unbedingte Leidenschaft für Mut, Auflehnung, Vitalität und Gefahr als Wesenselemente der futuristischen Dichtung. Er folgert: »Bis heute hat die Literatur die gedankenschwere Unbeweglichkeit, die Ekstase und den Schlaf gepriesen. Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag.« Die »Schönheit der Geschwindigkeit« wird weiterhin aufgezählt, sie wird zum Schlüsselbegriff im Themenrepertoire der Futuristen.

Marinetti beschreibt ein künstlerisches Programm, das von der Lebendigkeit und dem Wagemut des Künstlers, des jungen, lebenshungrigen Mannes beeinflusst ist: »Schönheit gibt es nur noch im Kampf. Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein.« Wesentliche Inspiration ist die Moderne, die alte Werkkategorien aufhebt, wie es unter Punkt acht im Manifest heißt:


Wir stehen auf dem äußersten Vorgebirge der Jahrhunderte! […] Warum sollten wir zurückblicken, wenn wir die geheimnisvollen Tore des Unmöglichen aufbrechen wollen? Zeit und Raum sind gestern gestorben. Wir leben bereits im Absoluten, denn wir haben schon die ewige, allgegenwärtige Geschwindigkeit erschaffen.


Marinetti erklärt die Moderne zu einem ästhetischen Ort, aus dem das Neue, Originäre hervorgehen kann. In den abschließenden drei Punkten des Manifests werden die »Verherrlichung des Krieges« und die »schönen Ideen, für die man stirbt, die Verachtung des Weibes, die Zerstörung der Bibliotheken und Akademien« proklamiert sowie die enthusiastische Begeisterung für die »großen Menschenmengen« der Großstädte und die Arbeit in den Fabriken bescheinigt.

In den Thesen wird deutlich, dass Marinetti die traditionellen Orte der Kunst und des Wissens – Museen, Akademien und Bibliotheken – als Institutionen der Unterdrückung begreift, deren Zerstörung erst das Neue ermögliche. Dagegen verbindet er provokant aggressive Aussagen zur Gewalt sowie den technischen Neuheiten – Maschinen und Automobilen – mit Attributen wie schön, rein und originär, denn er strebt mit seiner neu erschaffenen Kunstrichtung eine sich stets wiederholende ästhetische Grenzüberschreitung an. Im Manifest folgt auf die elf Verlautbarungen eine Passage, in der Marinetti erklärt, dass die Existenz der Museen die Schöpferkraft der jungen Künstler hindere. Der Text mündet in eine destruktive Vision:


Und was kann man auf einem alten Bilde schon anderes sehen als die mühseligen Verrenkungen des Künstlers, der sich abmühte, die unüberwindbaren Schranken zu durchbrechen, die sich seinem Wunsch entgegenstellen, seinen Traum voll und ganz zu verwirklichen? … Ein altes Bild bewundern, heißt, unsere Sensibilität in eine Aschenurne zu schütten, anstatt sie weit und kräftig ausstrahlen zu lassen in Schöpfung und Tat. […] Mögen also die lustigen Brandstifter mit ihren verkohlten Fingern kommen! Hier! Da sind sie! … Drauf! Legt Feuer an die Regale der Bibliotheken! … Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! … Oh, welche Freude, auf dem Wasser die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt treiben zu sehen! … Ergreift die Spitzhacken, die Äxte und die Hämmer und reißt nieder, reißt ohne Erbarmen die ehrwürdigen Städte nieder!


Lediglich junge Männer seien in der Lage, die futuristische Tat zu vollziehen, bereits mit 40 Jahren, so fordert Marinetti, »mögen andere, jüngere und tüchtigere Männer uns [Marinetti und die Futuristen] ruhig wie nutzlose Manuskripte in den Papierkorb werfen«. Das Manifest endet, indem Marinetti seine eigene Tötung durch die Hände seiner Nachfolger voraussagt: »Die starke und gesunde Ungerechtigkeit wird hell aus ihren Augen strahlen.«

Er verlieh dem Futurismus durch seine Erzählung einen Gründungsmythos, der ihn von einer Idee zur Bewegung erhob. Der Text entfaltet seine Wirkung durch die Synthese aus angriffslustigen Forderungen und phantastisch anmutender Erzählung sowie einem pathetisch-aggressiven Ausdruck. So gebraucht Marinetti Begriffe wie »stolz«, »aufrecht«, »mutig«, »kühn«, »Auflehnung«, »Kraft« und »Revolution«, wenn er die Gefühle seiner Gruppe beschreibt, die sich dem »feindlichen Heerlager« – den Museen, Akademien, allem Traditionellen – stellt und sie bekämpft. Strebte Marinetti eine radikale Veränderung der Kultur an, realisierte er diese mit der Veröffentlichung des Gründungsmanifests bereits im ersten Schritt, indem er moderne Phänomene in die Kunst integrierte. Als Dichter und Schriftsteller war er zwar maßgeblich von der Lyrik beeinflusst, bezog seine Thesen aber im Folgenden auf alle Kulturbereiche und propagierte letztlich die »Wiedergeburt Italiens«. Der Futurismus definierte sich demnach als kulturelle Avantgardebewegung, die sich durch Abgrenzung zum Vorherigen, zum alten Italien, abhob, über das Marinetti ein vernichtendes Urteil fällte:


Schon zu lange ist Italien ein Markt von Trödlern. Wir wollen es von den unzähligen Museen befreien, die es wie zahllose Friedhöfe über und über bedecken. […] Wollt ihr denn eure besten Kräfte in dieser ewigen und unnützen Bewunderung der Vergangenheit vergeuden, aus der ihr schließlich erschöpft, ärmer und geschlagen hervorgehen werdet?


Marinetti lehnte die traditionelle Kunst im Ganzen ab, die in Museen, Akademien und Bibliotheken präsentiert wurde. Die Anregungen der futuristischen Kunst sollten allein aus dem modernen Leben entstehen, gekennzeichnet durch Begriffe wie Technik, Kampf und Revolution. Die Kunst habe zu lange ihren Autonomiestatus erhalten und damit sich von der Realität abgegrenzt. Ziel des Futurismus sei nun die Rückführung von Kunst in das Leben und schließlich die Vereinigung beider, um damit die Merkmale des »avantgardistischen Protests« erfüllen zu können. Die Synthese aus Kunst und Leben sei gleichsam die Voraussetzung dafür, die Entfremdung des Menschen von der Natur in der Moderne aufzuheben.

Marinetti attestierte dem Futurismus einen revolutionären Geist, der sich nicht an die Herrschaftselite anpasste. Überdies installierte er mit dem Futurismus ein Programm, das die »bürgerliche Ordnung und die des Kunstsystems außer Kraft setzt[e]« und sich in der Utopie des reinigenden Krieges erfüllen sollte. Denn Marinettis Vision des Krieges vereinte die Zerstörung des Alten mit der Schöpfung einer neuen, modernen und futuristischen Gesellschaft. Hinz (Anm. d. Red.: Manfred Hinz, Die Zukunft der Katastrophe: mythische und rationalistische Geschichtstheorie im italienischen Futurismus) resümiert:

Der im initiatorischen Teil dieses Manifests entfaltete Zerstörungsritus wird […] mit all seinen Versatzstücken in die Sphäre des Ästhetischen überführt und mit dem Attribut des Schönen versehen, d.h. vollständig von Sinnzusammenhängen abgetrennt. Daß nur der Kampf, die Aggression, die Geschwindigkeit und das Auto schön seien, heißt, daß sie einen anderen Sinn nicht mehr haben. Die ästhetische Sublimierung und der Verzicht, der mit dem Begriff des Schönen verbunden gewesen war, werden hier zwar denunziert, der Begriff selber aber bleibt intakt. Das bedeutet, der Futurismus errichtet eine neue Aura in dem Augenblick, in dem er die alte zerstört.

Die Doktrin, die Basis und Grundstimmung des Manifests, sind eine Huldigung gegenüber dem technischen Fortschritt der Moderne mit ideologischen Anleihen bei revolutionären Bewegungen. Das Neue, das die Naturwissenschaften bereits erkannt haben, stehe der Kunst laut Marinetti noch bevor. Doch das wirklich Originelle könne lediglich in der kämpferischen Überwindung des Alten liegen: »Kunst kann nur Heftigkeit, Grausamkeit und Ungerechtigkeit sein«.

Die Textform des Manifests

Fraglich ist, warum Marinetti die Textform des Manifests zur Gründung des Futurismus wählte. Denn das Manifest hat eine lange Tradition, weist demnach gerade nicht die Originalität auf, die er selbst einforderte. Als politischer Text mit Deklarationscharakter tauchte das Manifest erstmals Ende des 16. Jahrhunderts auf. Es wurde genutzt, um den herrschaftlichen Willen dem Volk mitzuteilen und diente schon früh als Massenmedium. Seine Kennzeichen sind die offene Form und die direkte Ansprache an die Rezipienten. Mit der Französischen Revolution erlebte das Manifest einen Bedeutungswandel zur anti-staatlichen Verlautbarung, indem es von den Revolutionären als Mitteilungsform genutzt wurde. Was konstant blieb, war sein – teilweise inszenierter – »institutioneller Charakter«.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts fand das Manifest hauptsächlich in zwei unterschiedlichen Disziplinen Verwendung, als kommunistisches und literarisches Manifest. Das kommunistische Manifest stand in der Tradition der oppositionellen Schrift, dem revolutionären Manifest der Französischen Revolution. Es handelte sich dabei um einen programmatischen, politischen Text, der seinen Gehalt jedoch aus der symbolischen, emotionalen Geste zog, ohne einen Anspruch auf Verwirklichung zu haben. Das literarische Manifest hatte ebenfalls einen massenkommunikativen Charakter und diente dazu, kulturwissenschaftliche Theorien zu verbreiten. In seinem Anspruch, eine Wahrheit zu vermitteln, war die Grenze zur kämpferischen Ansage fließend, ebenso wie zur pseudo-wissenschaftlichen Abhandlung. Sowohl die direkte Sprache als auch die offene Form unterstützten in ihrer Wirkung Marinettis inhaltliches Konzept eines Lebensprinzips des vitalen und dynamischen Seins. Die schnelle und weite Verbreitung des Manifests durch den Abdruck in einer Tageszeitung gewährleistete zudem seine Aktualität.

Durch zwei stilistische Kunstgriffe verlangte Marinetti dem Leser eine Reaktion ab, unabhängig davon, ob sie zustimmend oder ablehnend war: durch den hetzerisch-aggressiven und provozierenden Ton sowie den suggerierten offiziellen Charakter des Textes. In Bezug auf die Meinungsbildung hatte das Gründungsmanifest demnach einen manipulativen Charakter. Inhaltlich verknüpfte Marinetti sein Ziel der kulturellen, ästhetischen Revolution mit politischen, moralischen und ideologischen Thesen. Er nutzte das Manifest in seiner Reinform als »operatives Medium«, was folglich den gesamten Lebensbereich der Leser tangierte.

Die futuristische Polemik mit ihrer Zerstörungswut gegenüber der Tradition sollte insbesondere auf Jugend, Künstler und Arbeiter agitierend wirken.


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