Eine französische Bildgießerei hat ein großes – böse Zungen mögen behaupten, größenwahnsinniges – Ziel: ein »neues Rom« zu schaffen und den Westen mit gigantischen Statuen in eine, so die Künstler, »schöne Zukunft« zu führen. Ihr Denkmal der Johanna von Orléans möchten Bürokraten zwar am liebsten wieder abreißen lassen, aber das »Atelier Missor« hat noch viel Größeres vor – seine Kunst soll Äonen überdauern. Wer sind diese entfesselten Männer, die aus Feuer und Titan …Titanen formen wollen?
»Behalten Sie die Freiheitsstatue, sie gehört Ihnen. Aber machen Sie sich auf eine weitere gefasst. Eine neue Statue, viel größer, aus Titan gefertigt, um Millionen von Jahren standzuhalten.«
Missor
Eine starke Ansage, die die Gruppe um den Bildhauer Missagh »Missor« Movahed Ghaleh Nouri da an Amerika macht. An jene Weltmacht also, die ihre kulturellen Wurzeln zwar in Europa hat, die den alten Kontinent an Superlativen aber längst übertrifft. Auch die absurde Forderung eines französischen Politikers auf die sich Missor bezog, die USA sollten die Freiheitsstatue zurückgeben, wird die Amerikaner kaum beeindruckt haben. Auf beiden Seiten des ›großen Teichs‹ ist fast vergessen, dass Frankreich als Grande Nation einst den jungen USA ein Geschenk machte, das den amerikanischen Mythos symbolisiert: »La statue de la Liberté«, geschaffen vom französisch-elsässischen Bildhauer Frédéric-Auguste Bartholdi hält seit 1886 vor den Toren New York Citys ihre Fackel empor. Nun soll Bartholdis Darstellung der römischen Libertas eine Nachfolgerin bekommen. Eine, die ihr Vorbild an Größe, Schönheit und Langlebigkeit übertrumpfen könnte – und abermals soll sie aus Frankreich kommen …
Die Kleinstadt Meaux, knapp 60 Kilometer nordwestlich von Paris: Hier dient eine alte Werkhalle als Labor für Bildgießerkunst zwischen historischem Erbe und faustischem Streben. Der Umgang mit lodernem Feuer und glühenden Schmelztiegeln ist gefährliche Schwerstarbeit, denn die Künstler beherrschen nicht nur ihre feinen Meißel, mit denen auch die kleinsten Details ihrer Skulpturen herausgearbeitet werden: Der gesamte Schaffensprozess bis hin zur Aufstellung des fertigen Werks vor Ort bleibt in den Händen des Ateliers. Doch ihre an klassischen Vorbildern ausgerichtete Kunst stößt nicht selten auf Ablehnung – sie sei »reaktionär, hässlich« und zeuge angeblich von einer »Unkenntnis der Kunstgeschichte«, so spottet es aus den Akademien Frankreichs. Tatsächlich sind die Männer um Missor Autodidakten, doch offenbar brennen sie wie das Feuer ihrer Schmelztiegel für ihr künstlerisches Schaffen – eine Haltung, die der etablierte Kunstbetrieb bisweilen vermissen lässt.
In der Tat sieht es im Atelier Missor ganz und gar nicht nach »Pariser Kunstschickeria« aus: Von den schweißtreibenden Arbeitsschritten ›entspannt‹ man sich bei Missor mit Box- und Ringkämpfen, auf ihrer Haut prangen Tätowierungen: der Gekreuzigte, die Umrisse Frankreichs, gallische Hähne und – weniger gelungen – ein Penis. Aus den Lautsprechern ertönen Arien, die Pizza wird im großen Schmelzofen gleich mitgebacken. Dann wieder stellt man sich im Kreis auf und singt mehrstimmig, fast wie bei einem gregorianischen Choral – und auch sonst wirkt die Gruppe wie eine Art brüderliche Gemeinschaft: Ein gemeinsames Ziel wird verfolgt, Altbewährtes lebt wieder auf, mit neuen Methoden wird improvisiert, jedem Scheitern folgt ein weiterer Versuch – solange, bis das Ergebnis für perfekt befunden wird. Dass sie die Errungenschaften des Westens, die Aufklärung, den technischen Fortschritt, aber auch dessen historisches Erbe bewundern, mag ein weiterer Grund dafür sein, warum sie so gar nicht zum selbstverneinenden Zeitgeist passen.
»Statuen sind Flaschenpost, die in den Ozean der Zeit geworfen werden, in der Hoffnung, in einer Million Jahren gefunden zu werden, nur um zu sagen: Wir waren hier.«
Missor
In den Werken von Missor spiegeln sich Geschichte, Gegenwart und Zukunft unserer europäischen Zivilisation: Statuen wie die von Napoleon mit goldenem Lorbeerkranz oder Büsten von Nietzsche mit seinem markanten Schnauzbart, lassen eine Zeit wieder lebendig werden, in der in Europa noch Imperien – reale wie geistige – geschmiedet wurden. Für das Hier und Jetzt gesellt sich der gegen einen ›Wokismus‹ anschreibende Psychologe und Intellektuelle Jordan Peterson in Bronze hinzu – mit strengem Blick wie seine Ateliergefährten und ebenso streng limitiert. Auch die Mitarbeiter des Ateliers wirken wie aus der Zeit gefallen: einheitlich gestylt mit Hosenträgern und Hemden und mit von Bärten gerahmten Gesichtern blicken sie selbstbewusst in die Kamera. Wären es Schwarz-Weiß-Bilder, man könnte meinen, hier stünden die Gesellen von Meister Rodin persönlich.
Missors im Westen rar gewordene klassische Arbeit wird nicht nur in der Kunstszene, sondern auch in den Gemeinden mit Skepsis wahrgenommen. Die überlebensgroße Napoleon-Skulptur – mit Speer in der einen und Weltkugel in der anderen Hand – will bisher niemand aufstellen, auch wenn Missor sogar einen prominenten Fürsprecher hat: einen, wen wundert es, Nachfahren des französischen Kaisers. Manches findet dennoch den Weg in den öffentlichen Raum – nur um sogleich einen ›Skandal‹ auszulösen, wenn auch eher einen bürokratischen. So fühlte man sich in Nizza dazu berufen, Klage gegen ein von Missor geschaffenes Denkmal einzureichen, um es »von Amts wegen« wieder abreißen zu lassen.
Mit fast 5 Metern Höhe steht die Reiterstatue der Johanna von Orléans vor der gleichnamigen Kirche in Nizza. 170.000 Euro wert und neun Tonnen schwer ist Missors Darstellung der französischen Nationalheldin, die für Frankreich in den Krieg zog und tragisch auf dem Scheiterhaufen endete. Ihr Schwert hebt sie stolz empor – doch die vergoldete Bronzeskulptur ist den Behörden ein Dorn im Auge: Weil es keine öffentliche Ausschreibung gab, soll sie nun wieder verschwinden. Das Honorar soll von den Künstlern zurückgezahlt werden, was diese an den Rand des Ruins treiben könnte. Doch Missor behauptet, es gäbe gar keine Mitbewerber: Sie seien die einzigen in Frankreich, die noch monumentale Statuen im klassischen Stil gießen könnten. »Wer glaubt, er sei dazu in der Lage, soll sich bitte melden« so die Bildhauer lakonisch. Bislang hat das niemand getan – und Johanna glänzt immer noch golden in der gleißenden Mittelmeersonne.
Für die modernen Bilderstürmer westlicher Großstädte sind solche Skulpturen ohnehin eine Provokation, die nicht selten mit deren Verunstaltung oder gar ›Enthauptung‹ beantwortet wird. Für den Ateliergründer Missor Movahed dagegen sind solche Taten unerträglich. Er klagt über immer wiederkehrende Albträume, in denen ein Mob den Louvre stürmt, ihn niederbrennt – und damit auch ein künstlerisches Erbe Frankreichs wie Europas zerstört. Die Fassungslosigkeit angesichts dieser gewaltsamen Zerstörung – man könnte auch sagen, Selbstzerstörung – des Eigenen, lenkte Missors Blick auf einen in der Bildhauerei bislang selten eingesetzten Werkstoff: Titan.
»Wenn eine Zivilisation ein gewisses Maß an technologischer Entwicklung erreicht, beginnt sie, Denkmäler aus Titan zu errichten«
Missor
Stellt schon das Gießen von Statuen in großem Maßstab eine Herausforderung dar und ist so kostspielig wie energieintensiv, gilt dies umso mehr für Titan. Statt des herkömmlichen Bildgießverfahrens will das Atelier Missor deshalb eine Methode nutzen, wie sie ähnlich auch in der Industrie beim sogenannten »Explosionsschweißen« eingesetzt wird: Eine Titanplatte wird auf eine Betonform gelegt und Sprengstoff darüber gestreut – die ausgelöste Explosion presst jedes Detail in die Platte. Anschließend werden hunderte Formenteile zusammengesetzt, bis eine riesige Statue entsteht. Bei so viel gestalterischer Sprengkraft möchte man meinen, Friedrich Nietzsche, dessen Büste vorerst nur in Bronze von Missor geschaffen wurde, schleuderte seinen Ausspruch aus »Ecce Homo« in die Werkhalle: »Ich bin kein Mensch … ich bin Dynamit!«.
Hinter einem Baugerüst starrt ein riesiger Kopf hervor, der in seinem Ausmaß durchaus mit dem Werk Bartholdis mithalten kann – hier könnte er ›auferstehen‹, einer der »großen Männer« von denen Missor schwärmt: Das Gesicht des Prometheus, des Titanen, der einst die Menschen aus der Dunkelheit in die »Erleuchtung« führte. Gemeinsam feilt und meißelt man hier an dem Riesen, immer detailreicher werden dessen Gesichtszüge und man bekommt eine Vorstellung davon, wie mühsam einst Bartholdi seine Libertas erschuf, bevor sie in Einzelteile zerlegt über den Atlantik verschifft wurde. Kommentiert wird das Modell von ihnen mit einem hintersinnigen Statement: »Macht die Kunst so episch, dass sie die Geburtenrate erhöht.« Denn die Antwort auf eine große Frage scheint das Atelier Missor anzutreiben: Was passiert, wenn Europas Nachwuchs ausbleibt: Wird man eines Tages nur noch über seine Ruinen staunen, wie die Touristen am Forum Romanum?
Im ›alten Europa‹ von Bürokraten und anderen Albträumen geplagt, reisten die Künstler unlängst auf der Suche nach Investoren in die ›neue Welt‹, in die USA. Dort, so sind sie überzeugt, gäbe es noch Optimismus und – die Fähigkeit zu träumen. Ihren eigenen großen Traum haben sie dem reichsten Mann der Welt angetragen: Für die SpaceX-Raketenbasis von Elon Musk wollen sie eine Prometheusstatue aus Titan bauen, dessen Flamme den Astronauten den Weg ins Weltall weisen und die Station zur »spektakulärsten Stadt der Welt« machen soll. Eine neue Freiheitsstatue als »Geschenk aus dem Volk«, als Dankbarkeit dafür, dass SpaceX »die Menschheit voranbringt«, so Missor. Überlieferung und Fortschritt – hier könnten sie so rasant miteinander verbunden werden wie beim »Explosionsschweißen«.
Während ihrer Kunst also im eigenen Land die Abrissbirne droht oder jahrelang auf der Suche nach einem Platz »herumirrt«, sucht Missor nun nach einem geeigneten Ort für eine neue Bildgießerei in den USA. Stellen sie dort tatsächlich ihre schöpferische Kraft unter Beweis, entsteht dort bald ein neues Wahrzeichen – ein moderner Prometheus, ein Titan aus Titan? Das »Land of the Free« ist nach wie vor die Heimstatt der Visionäre und ein Labor für »unbegrenzte Möglichkeiten«. Wenn es ihnen gelänge ihre Träume dort Wirklichkeit werden zu lassen, wäre dies zumindest in ästhetischer Hinsicht ein weiterer »Brain Drain« für Europa. An großen Vorbildern für solche Titanstatuen herrscht auch diesseits des Atlantiks kein Mangel. Aber vielleicht bald einer an Menschen, die bereit sind sie zu bauen.











