Ein Agrarwissenschaftler inspiziert grüne Sojabohnen auf einem Feld. Serhii – stock.adobe.com


Andreas Jürgens

Die Lebensmittelpreise steigen weiter, aber noch sind die Regale und Kühlschränke meist gefüllt. Doch wie krisenfest ist die Versorgung in Europa? Geopolitische Spannungen und ökologische wie ökonomische Herausforderungen machen auch bei uns ein Umdenken notwendig. Wie wird die Zukunft unserer Landwirtschaft aussehen: Liegt sie im Biolandbau oder kommt das Essen bald aus sterilen Laboren – und welche Rolle spielen KI und Robotik dabei? Folgen wir einer langen Ackerfurche quer durch den Kontinent: von den Ur-Bauern bis zu den Technikern des Novel Food.

Europa in den 1940er-Jahren: Eine vom Krieg zerstörte Infrastruktur, trockene Sommer und frostige Winter mit enormen Ernteausfällen treiben Millionen Menschen in den Hungertod. Die Überlebenden kämpfen mit schweren Mangelerscheinungen, Unterernährung ist weit verbreitet und stundenlanges Anstehen für das Nötigste gehört zum Alltag. Mangel herrscht auch an fleißigen Händen in der Landwirtschaft und in der weiterverarbeitenden Industrie. Das Wenige wird stark rationiert, es kommt zu Plünderungen und Diebstählen – jeder ist sich selbst der Nächste.

Nach der Krise ist vor der Krise

Für viele Europäer sind solche Schreckensszenarien historisch, oder zumindest noch geographisch, weit entfernt. Trotz steigender Preise und überlasteter Hilfsorganisationen wie den »Tafeln«, scheint die Versorgung mit Lebensmitteln noch sicher zu sein. Jeder zweite EU-Bürger gilt sogar als übergewichtig – selbst junge Erwachsene sind häufig zu dick. Aber dass Krisen und selbst Kriege auch Europa nicht länger verschonen, zeigte sich in den letzten Jahren wieder deutlich. Durch militärische Konflikte in Exportländern werden wichtige Lieferketten unterbrochen, Blockaden oder gar die Vernichtung von Lebensmitteln werden als ›Waffe‹ eingesetzt.

Auch die Zunahme extremer Wetterereignisse führt immer wieder zu Ernteausfällen. Finden sie in mehreren Regionen gleichzeitig statt, werden sie zum »systemischen« Problem, das sich auf ganz Europa auswirken kann. Zudem treiben die hohen Energiekosten auch die Nahrungsmittelpreise in die Höhe, während die wachsende Bevölkerung in den Ballungsgebieten immer größere Produktionskapazitäten erfordert. Dennoch landen allein in der EU jedes Jahr über 50 Millionen Tonnen Lebensmittel – im Müll. Die zu große Bestellung im Restaurant oder das nicht mehr ganz so knackige Obst aus dem Supermarkt? ›Weg damit!‹ …


Keine Quotenregelung in Sicht: Es gibt zu wenig junge Bäuerinnen.


Bäuerin füttert die Schafe auf dem Bauernhof
Kzenon – stock.adobe.com

Auf der Suche nach der »Generation Grün«

Brasilianischer Kaffee, kolumbianische Bananen, Steak aus Argentinien, aber auch Trauben aus Indien, Äpfel aus Neuseeland und sogar – Kartoffeln aus Ägypten: Als selbstverständlich gilt heute, dass Lebensmittel aus aller Welt ganzjährig verfügbar sind. Zwar kommen beispielsweise in Deutschland noch über 80 Prozent aller importierten Lebensmittel aus EU-Ländern. Doch die Europäische Union führt auch viele in der Lebensmittelproduktion verwendeten Güter wie Öle, Fette und vor allem Dünge- und Futtermittel ein.

Zugleich sinkt die Zahl der Beschäftigten in der europäischen Landwirtschaft. Jeden Tag verschwinden hier fast 1000 Betriebe – dabei liegt das Durchschnittsalter der Bauern schon bei 57 Jahren. In nur einem Jahrzehnt werden viele von ihnen also nicht mehr arbeiten. Aber an wen werden sie ihren Erfahrungsschatz weitergeben? Der ländliche Raum ist für viele junge Menschen wenig attraktiv. Sie zu einer landwirtschaftlichen Tätigkeit – und damit zur nachhaltigen Ernährungssicherung – zu bewegen, bleibt eine Herausforderung insbesondere bei jungen Frauen. Der Anteil der Jungbäuerinnen die einen Hof führen, liegt bei gerade einmal 3 Prozent – und eine ›Quotenregelung‹ ist nicht in Sicht.

Natürlich hat der technische Fortschritt viele handarbeitsintensive Tätigkeiten reduziert und es können mit weniger Arbeitskräften größere Flächen bewirtschaftet werden. Aber nicht jeder Betrieb kann die Investitionen in teure Landmaschinen aufbringen und auch die Kauf- und Pachtpreise für landwirtschaftliche Flächen sind hoch. Gibt ein Betrieb auf, bleibt immer öfter die Frage der Hofnachfolge offen. Europa hat also ein personelles Nach-Wuchsproblem in einer der (überlebens-)wichtigsten Branchen überhaupt: der Produktion von Nahrungsmitteln.


Die Cultura meinte zuerst die Pflege des Ackers, erst dann die des Geistes.


Publius Vergilius Maro - Büste von Tito Angelini
Publius Vergilius Maro - Büste von Tito Angelini, Public domain, via Wikimedia Commons

Ein Dichter- und Bauernstaat

»Was mit Gedeihen das Saatfeld erfreut und welches Gestirn uns
Pflügen das Land, o Mäcenas, und hoch an die Ulme den Weinstock
Fügen heißt, was Rindern an Pfleg‘, und welcherlei Wartung
Schafen gebührt, wie erfahrner Betrieb den wirtlichen Bienen,
Hiervon rede mein Lied.«

So beginnen die »Georgica«, die »Lehrgedichte vom Landbau«, des Publius Vergilius Maro, aus dem Jahr 37 v. Chr. Der römische Dichter lobt darin die Beharrlichkeit der Bauern – »Alles besieget unablässiger Fleiß« – und Schwielen an den Händen dürften dem auf einem Landgut aufgewachsenen Töpfersohn nicht fremd gewesen sein.

Schon hundert Jahre zuvor schrieb Cato der Ältere sein »De agri cultura (Über den Ackerbau)«, das zugleich auch das älteste Prosawerk in lateinischer Sprache ist. Die Cultura meinte eben zuerst die Pflege des Ackers, bevor sie auch die des Geistes beschrieb. Doch schon die Griechen setzten die Feldarbeit an die erste Stelle: Hesiod etwa zog 700 v. Chr. in »Werke und Tage« das mühsame bäuerliche Dasein dem ›süßen Nichtstun‹ vor, denn »kein Müßiggänger vermag, sich die Scheune zu füllen«, so der dichtende Bauer. Die Agrikultur war im antiken Alltag ohnehin stets präsent, sie war der wichtigste Wirtschaftszweig und Bauern machten damals schätzungsweise 80 Prozent der Gesellschaft aus. Ihre Ursprünge aber reichen bis in die Jungsteinzeit zurück.

Die ersten Landwirte Europas lebten vor rund 8000 Jahren in der nördlichen Ägäis und ihre Kenntnisse verbreiteten sich von dort über den Kontinent: Aus Jägern und Sammlern wurden allmählich Hirten und Bauern. Mit der Sesshaftigkeit entstanden dauerhafte Höfe und Siedlungen und später die ersten griechischen Stadtstaaten, die Poleis. Die Produktion von Wein, Olivenöl, Käse und Honig war für die alten Griechen denn auch gleichbedeutend mit dem Übergang von der Barbarei zur Zivilisation.

Was damals mit harter körperlicher Arbeit bei ständig drohendem Mangel hergestellt wurde, scheint heute überall und jederzeit verfügbar zu sein. Wenn von Essen die Rede ist, geht es oft um gesundheitliche Aspekte, Ernährungsgewohnheiten und persönliche Vorlieben. Wir kochen mal allein, mal gemeinsam und allzu oft kommt ein Lieferservice. Doch wie häufig stellen wir uns beim Essen schon die Frage, wer das alles produziert und wie wir die Versorgung auch zukünftig sicherstellen?

Eine halbe Milliarde ›hungriger Mäuler‹

Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein blieb der Anteil der Bauern an der europäischen Bevölkerung relativ stabil. Doch im Zuge der Industriellen Revolution nahm er in den höher entwickelten Ländern allmählich ab: In Deutschland, das bereits 1914 zur größten Industrienation Europas aufgestiegen war, arbeitete zu dieser Zeit zwar noch jeder dritte Erwerbstätige in der Landwirtschaft. Doch heute sind in der Bundesrepublik nicht einmal mehr 2 Prozent der arbeitenden Bevölkerung im Agrarsektor tätig. Im europäischen Durchschnitt sind es 4 Prozent – und in der »Wiege der europäischen Landwirtschaft«, in Griechenland, immerhin noch fast 12.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte – oder vielmehr musste – 1 Landwirt 10 Menschen ernähren. Heute sind es fast 140. Dabei ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in den vergangenen Jahrzehnten stark gesunken, während die gesamte Produktionsfläche nahezu konstant geblieben ist. Immer weniger Betriebe bewirtschaften also immer größere Flächen. Verkauft ein Kleinbauer, wird der Betrieb häufig von einem größeren Konkurrenten übernommen.

Noch gelten laut Europäischer Kommission drei Viertel der landwirtschaftlichen Betriebe als sogenannte »Kleinerzeuger«, also als Landwirte, die Flächen von unter 10 Hektar bewirtschaften. Sie leisten einen wichtigen Beitrag in der Nahrungsmittelversorgung, aber auch in der Beschäftigung und der Entwicklung des ländlichen Raumes. Doch immer mehr von ihnen geben auf. Denn so bedeutsam die Arbeit dieser Landwirte für die Gesellschaft auch ist: Ihr Einkommen liegt rund 40 Prozent niedriger als in nicht-landwirtschaftlichen Berufen – und das, obwohl ein erheblicher Teil des EU-Haushalts in Agrarsubventionen fließt.

Geht es aber um deren Verteilung, wird schnell Kritik laut: Zu bürokratisch und komplex sei das System, beklagen viele kleinere Landwirte. Unterm Strich bekommen die Betriebe mit den größten Flächen die höchsten Zuschüsse. Diese gehören aber oft nicht einem aktiven Landwirt, sondern großen Agrarkonzernen oder Landesbetrieben. ›Fressen‹ die Großen also die Kleinen? Apropos Fressen: Allein in der Europäischen Union sind es bald 500 Millionen ›hungriger Mäuler‹, die es zu ›stopfen‹ gilt. Keine leichte Aufgabe, das zu organisieren.


Erst Milchseen und Butterberge, dann stillgelegte Flächen


Die Politiker gehen zu Tisch, …

1957 setzten sich Vertreter Deutschlands, Frankreichs, Italiens und der Beneluxstaaten, im Palazzo dei Conservatori, an einen ziemlich langen Tisch. Aber statt mit Speisen und Getränken war dieser Tisch bedeckt mit Dokumenten, Füllern und Mikrophonen. Unter dem Fresko der streitsüchtigen Horatier und Curiatier wurden die »Römischen Verträge« unterzeichnet. Doch das idealistische Motto lautete hier »Freundschaft statt Konkurrenz«. Damit war der Grundstein gelegt für die nur fünf Jahre später ins Leben gerufene »GAP« – die »Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft«.

Nach den Hungerjahren genug leistbare Lebensmittel für alle Europäer sicherzustellen – das war von Beginn an das Ziel der GAP. Die Produktivität wurde durch technischen Fortschritt und garantierte Preise enorm gesteigert, der gemeinsame europäische Markt stabilisierte sich, nach außen wurde er durch Zölle geschützt. Nun gab es zwar ausreichend zu essen für alle, und die Landwirte konnten ihren Lebensunterhalt bestreiten – doch ein unerwünschter Nebeneffekt war bald die Überproduktion, in Form der sogenannten »Milchseen und Butterberge«. Auch die Zahl der Mitgliedstaaten wuchs weiter an.

In der Folge wurde die staatliche Förderung von der Produktion entkoppelt und auf Direktzahlungen an die Bauern umgestellt. Wer zu viel produzierte, musste nun sogar Strafen zahlen. Außerdem gab es Ausgleichszahlungen für Flächenstilllegungen, um beispielsweise die Getreideproduktion zu begrenzen. Immer mehr gewannen auch der Erhalt der »Kulturlandschaft«, die umweltschonende Bewirtschaftung und der Tierschutz an Bedeutung.

… die Bauern gehen auf die Barrikaden

Seit ihrer Einführung hat die GAP zahlreiche solcher Reformen erlebt. Allein in den vergangenen drei Jahrzehnten ist ihr Anteil am EU-Haushalt von 70 auf 30 Prozent gesunken. Nachhaltig, wettbewerbsfähig und gesund sollen die Agrarprodukte nun vor allem sein. Die Landwirte sollen angemessen für ihre Arbeit bezahlt werden und das Ganze soll zudem noch für »lebendige« ländliche Gebiete sorgen – so die Europäische Kommission in Brüssel. Doch was sagen die Bauern dazu?

Deren Unzufriedenheit zeigt sich in den immer wiederkehrenden Protesten und den sich anschließenden Verkündigungen von Hilfszusagen der nationalen Regierungen – selten gehen die Zugeständnisse den Landwirten weit genug. Dennoch sind ihre Forderungen nicht überall in Europa immer dieselben: Mal geht es, wie in Deutschland, um den Erhalt von Treibstoffsubventionen, mal um die Rücknahme von Umweltauflagen oder gar, wie in Spanien, das unter enormer Trockenheit leidet, um mehr Wasserzuteilungen. Doch ein gemeinsamer Nenner verbindet die Bauern und damit letztlich alle Teile der Gesellschaft: Ohne eine leistungsstarke Landwirtschaft kann es keine sichere Lebensmittelversorgung in Europa geben.


David gegen Goliath? Der Verbandsriese europäischer Landwirte schätzt die Marktchancen der Kleinbauern eher gering ein.


Geht Ernährungssouveränität nur mit den ›Großen‹?

Brüssel, Rue de Treves. Hier arbeitet der größte Dachverband der europäischen Landwirte, der »Copa-Cogeca«, der sich als »europäische Stimme der Landwirte und Agrargenossenschaften« versteht. Gemeinsam wollen dessen Mitglieder – Landwirtschaftsverbände aus allen EU-Ländern – die Versorgungsssicherheit gewährleisten. Man betont die strategisch wichtige Rolle der Landwirte für mehr Ernährungssouveränität. Auch eine ökologischere Landwirtschaft will man zwar grundsätzlich mittragen, aber die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Lebensmittelproduktion soll dabei im Fokus stehen. Also einfach mehr Geld aus dem EU-Haushalt für die Bauern?

Das könnten die zahlreichen Klein- und Kleinstbauern gebrauchen, die ihre Betriebe nicht selten als Nebenerwerb führen. Viele dieser kleinen Bauernhöfe sehen aber eine solche Unterstützung bei sich nicht ankommen, weshalb die EU ihre Mitgliedstaaten nun verpflichtet, ihnen einen ›gerechten‹ Anteil an den Agrarförderungen zu zahlen. Zwar hält man auch beim Copa-Cogeca das Überleben solcher kleinen Höfe für wünschenswert, schätzt aber deren Chancen als eher gering ein. »Weil der Markt das einfach nicht belohnt«, so der Verband. Wertschätzung für einen wichtigen, vermeintlich geringen Beitrag zur Lebensmittelversorgung hört sich anders an.

Gleichwohl stammt der Begriff der »Ernährungssouveränität« ursprünglich aus der Kleinbauern- und Landarbeiterbewegung La Via Campesina, »der bäuerliche Weg«. Er bezeichnet dort die Forderung nach »selbstbestimmter« Lebensmittelproduktion einschließlich des Rechts auf »Ernährung nach kulturellen Kriterien«, nach »Zugang zu Land« und nicht zuletzt den »Kampf gegen die Monopole«. Statt von »Märkten und Konzernen« solle die Landwirtschaft von lokalen Erzeugern und Verbrauchern bestimmt werden.

Häufige Kritik am Copa Cogeca kommt auch von Ökobauern, ehemaligen Mitgliedern oder solchen Landwirten, die dem Verband erst gar nicht beitreten wollen, ebenso von Abgeordneten der Grünen im Europäischen Parlament. Der Verbandsriese, so lautet auch hier der Vorwurf, vertrete in erster Linie die großen landwirtschaftlichen Betriebe, die oft kleinere Höfe aufkauften und ihre eigenen Anbauflächen dadurch stetig vergrößerten. Selbst intern klagen kleinere Verbandsmitglieder, dass man bei Entscheidungen übergangen werde. Doch aus der Verbandsführung in Brüssel heißt es wiederholt, man sei nicht gegen eine ökologischere oder kleinteiligere Landwirtschaft – sie müsse aber eben marktfähig sein.

Biodivers, klimaneutral – und innovativ?

Gerade einmal 5 Minuten Fußweg sind es vom Copa-Cogeca-Büro, bis zum Sitz der Europäischen Kommission in der belgischen Hauptstadt, er liegt also praktisch ›um die Ecke‹. Auch die EU will eine »moderne und wettbewerbsfähige« Landwirtschaft, darüber hinaus soll diese bis 2030 »biodivers« und bis 2050 sogar »klimaneutral« werden. Dazu hat man ein umfangreiches Projekt für einen grünen Generalumbau der europäischen Wirtschaft entwickelt – den sogenannten »Green Deal«. Europa soll künftigen Generationen, soll ›allen Menschen‹ einen gesunden Planeten sichern, so die Kommission. Ein hochgestecktes Ziel, denn um Europas Innovationskraft war es schon einmal besser bestellt.

Doch das grüne Maßnahmenpaket bezeichnet man in Brüssel sogar als »unsere neue Wachstumsstrategie«. Die sieht zwar die Ausweitung der geschützten europäischen Land- und sogar Meeresgebiete vor – also die Begrenzung von Anbau-, Fang- und Zuchtflächen –, aber auch die Wiederherstellung bereits geschädigter Ökosysteme. Um die natürlichen Ressourcen und die Artenvielfalt zu schützen, soll darum der Anteil ökologisch bewirtschafteter Nutzflächen in Europas von aktuell unter 10 auf 25 Prozent angehoben werden.

Mit dem Green Deal will man auch für die drastische Reduzierung von Pestizideinsätzen sorgen, in den kommenden Jahren sollen diese halbiert werden. Lebensmittel könnten zwar grundsätzlich ohne Pestizide und Kunstdünger produziert werden – aber auch in ausreichender Menge und damit langfristig leistbar für alle Verbraucher?

Tractor spraying soybean field in sunset
Dusan Kostic – stock.adobe.com

Von modernen Düngemitteln, Pflanzensorten und Landmaschinen profitiert man weltweit – aber nicht immer ohne Nebenwirkungen.


Die Erfindung synthetischer Düngemittel in Deutschland machte es ab dem 19. Jahrhundert erst möglich, Landwirtschaft industriell zu betreiben und damit Mengen zu produzieren, die heute europaweit eine Art ›Vollversorgung‹ mit Lebensmitteln bieten können. Andererseits wirken sich viele dieser Düngemittel auch negativ auf die Bodenfruchtbarkeit und die Qualität der Gewässer aus, zudem ist ihre Herstellung sehr energieaufwendig. Aber nicht nur die Art wie gedüngt wird, sondern auch was gedüngt wird, hat sich durch die Forschung stark verändert.

US-amerikanischen Agrarwissenschaftlern gelang es bereits in den 1940er-Jahren, verschiedene Weizenarten miteinander zu kreuzen. Es entstanden neue Sorten, die es, in Verbindung mit synthetischem Dünger, auf das Sechsfache bisheriger Erträge brachten. Dadurch konnte immer mehr Nahrung auch auf kleineren Flächen produziert werden, der Preis für Lebensmittel sank – und damit auch Armut und Hunger. Von diesen westlichen Erfindungen – den neuartigen Düngemitteln, ergiebigen Pflanzensorten und nicht zuletzt modernen Landmaschinen – profitiert man heute weltweit.

Aber die industrialisierte Landwirtschaft führte auch zum Verlust an »Biodiversität«. Von den circa 30.000 für den Menschen genießbaren Pflanzensorten, decken heute nur noch 30 den Großteil unseres Kalorienbedarfs. Wenige besonders ertragreiche ›Hochleistungssorten‹, die auch als Tierfutter dienen, verdrängten die Vielfalt auf dem Acker – unsere Versorgungskette ist mittlerweile in einem beunruhigendem Maß von ihnen abhängig. Mit der Zunahme von Monokulturen, deren fehlende natürliche Resistenz wiederum durch Pestizideinsätze kompensiert wird, wächst auch die Gefahr der bereits erwähnten systemischen Probleme. Ist die konventionelle Landwirtschaft also bereits zur Sackgasse für unsere Ernährungssicherheit geworden?

Auch Bio ist nicht immer harmlos

Die Forderung nach der drastischen Einschränkung von Pestiziden kommt bei vielen Landwirten allerdings gar nicht gut an, denn nur mit ausreichenden Erträgen und entsprechend intensiver Bewirtschaftung sind für sie Gewinne möglich. Ganz ohne Schädlingsbekämpfung wäre es auch schnell vorbei mit der reichen Ernte – und folglich mit unser aller »täglich Brot«.

Schon jetzt mangelt es in der Landwirtschaft an Wirkstoffen, die den massiven Befall durch Krankheiten ausreichend bekämpfen. So warnt beispielsweise der Deutsche Bauernverband (DBV) davor, das ganze Ernten durch Schädlinge vernichtet und die Versorgung eingeschränkt werden könnte. Der EU-Politik gehe es vor allem um die Reduktionsziele für Pestizide, statt um die Frage der Versorgungssicherheit, kritisiert der Verband.

Um gute Ernteerträge und damit die ausreichende Lebensmittelversorgung zu sichern, dabei aber Umweltschäden zu minimieren, brauchen unsere Bauern also Alternativen. Zwar sind auch Biospritzmittel nicht immer harmlos: Kupfer und Schwefelverbindungen, wie sie im Biolandbau eingesetzt werden, gelangen durch Regenwasser in den Boden. Dort können sie sogar schädlicher sein als manche chemisch-synthetische Mittel, denn dort schaden sie den für die Bodenqualität so wichtigen Bakterien und Regenwürmern. Dafür wird in der Ökolandwirtschaft auf besonders schädliche Mittel wie chemische Unkrautvernichter verzichtet – und die Zahl der eingesetzten Wirkstoffe macht im Biolandbau gerade einmal 10 Prozent gegenüber denen der konventionellen Landwirtschaft aus.

Young shocked woman looking in empty fridge at home
Prostock-studio – stock.adobe.com

Das Einkommen darf nicht über Quantität und Qualität der Ernährung entscheiden


Die Gefahr einer ›kulinarischen Klassengesellschaft‹

Eine weitere Strategie der ökologischen Umgestaltung der Landwirtschaft liegt im Nachbarland Frankreich gewissermaßen in der Luft. Ist man dort bislang berühmt für besonders anziehende Düfte, werden nun auch solche eingesetzt, die extrem abstoßend wirken sollen – zumindest auf Schädlinge. Statt mit Pestiziden bekämpft man mit duftenden Molekülen, sogenannten Kairomonen, die von Blattläusen ausgelöste Vergilbungskrankheit, die bereits zu enormen Ernteausfällen führte.

Solche Schädlinge haben aber auch andere natürliche ›Gegenspieler‹, die in der Ökolandwirtschaft als »Nützlinge« gelten. Sie leben auf den Kulturpflanzen oder am Boden und ernähren sich bevorzugt von solchen Insekten, die den Bauern ihre Ernte streitig machen. Werden die Nützlinge kommerziell vermehrt, können sie praktisch als biologisches Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt werden. Insekten gleich direkt als menschliche Nahrung zu verwerten, ist in Europa – bisher – unüblich und auch nicht ganz ungefährlich, doch dazu später mehr.

Ist Biolandbau also der richtige Weg in die Zukunft der europäischen Ernährung? Eine der wichtigsten Maßnahmen des Green Deals, die Ausweitung der ökologisch bewirtschafteten Flächen in der EU, verspricht jedenfalls viele Vorteile: höhere Bodenqualität, bessere Fruchtfolge – das heißt Abwechslung statt Monokultur – und obendrein mehr Platz für Pflanzen auf dem Feld und die Tiere auf der Weide. Darin liegt aber zugleich auch ein Nachteil der biologischen Landwirtschaft: sie benötigt erheblich mehr Flächen – bei deutlich niedrigeren Erträgen.

Das hat seinen Preis: Wer als Verbraucher zu Biolebensmitteln greift, greift meist auch tiefer in die Tasche. Spätestens wenn es ums Geld geht, tritt der rein ökologische Aspekt der Ernährung, gerade für die ärmeren Bevölkerungsteile Europas, in den Hintergrund. Müssen wir in der Lebensmittelproduktion also andere Wege gehen, um nicht in eine Art ›kulinarischer Klassengesellschaft‹ zu landen, in der allein das Einkommen über Quantität und Qualität der Ernährung entscheidet?

Mit der Genschere in die Ernährungszukunft

Wie wäre es, wenn man gleich etwas Neuartiges züchtete? Nahrungsmittel, die z. B. resistent sind gegen Schädlingsbefall, die sich an veränderte klimatische Bedingungen anpassen – und außerdem so ertragreich sind, dass alle genügend zu essen haben? Für manche Forscher liegt die Antwort darauf in einem molekularbiologischen Verfahren, der sogenannten Genom-Editierung, mit der die krankheitsbedingten Ertragsverluste und der Pestizidaufwand bei Pflanzen oder der Antibiotikaeinsatz bei Tieren reduziert werden kann, indem entsprechende DNA-Bausteine ausgeschnitten oder eingesetzt werden.

Erfolge konnten bereits mit der Entwicklung von Weizen, der gegen Schadpilze resistent ist und auch mit glutenfreien Sorten verzeichnet werden. Ebenso lassen sich auch Nutzpflanzen, die besonders hitze- und dürrebeständig sind herstellen, Raps, der festere Schoten hat, die den Samenverlust während der Ernte verringern oder Kartoffeln, die beim Erhitzen weniger ungesundes Acrylamid erzeugen. Selbst blutdrucksenkende Tomaten und Früchte mit besonders hohem Vitamin-C-Gehalt sind möglich. Durch die laufende Reform veralteter europäischer Gentechnik-Gesetze könnten auch solche Nahrungsmittel bald auf unsere Teller kommen.

Mit dem Einsatz dieser ›Genscheren‹ bei Tieren ist man in der Europäischen Union formell noch zurückhaltend – bei ihnen sollen höhere Zulassungshürden als bei Pflanzen gelten. Oft geht es den Forschern um die bessere Widerstandsfähigkeit gegen Tierseuchen, aber auch um mehr »Ertragsmasse«, also um die Erhöhung der Fleischausbeute. Doch es gibt auch längst andere Wege zur Produktion tierischer Lebensmittel, die nicht mehr nur auf dem Bauernhof, sondern auch durch sterile Labore gehen. Hier leistete Europa schon vor über einem Jahrzehnt Pionierarbeit – das Ergebnis: künstlich gezüchtetes Fleisch.


In der Petrischale entsteht eine fasrige Masse, die an Konsistenz und Geschmack ihrer natürlichen ›Spender‹ sehr nahe heranreicht


Petri dish with cultured meat in laboratory
bit24 – stock.adobe.com

Sterile Zellkultur versus Stallgeruch

Satte 250.000 Euro für einen Burger, ein paar Tomatenscheiben und ein Salatblatt – dazu ein Glas stilles Wasser. Bereits 2013 verkosteten eine Ernährungswissenschaftlerin und ein Journalist medienwirksam den ersten ›künstlichen Fleischklops‹ des niederländischen Forschers Mark Post. Was damals aussah wie eine langweilige Kochshow, war tatsächlich der Durchbruch in der Entwicklung von sogenanntem »In-vitro-Fleisch«, also »im Glas« kultiviertem Fleisch. Der enorme Preis errechnete sich aus der jahrelangen Forschungsarbeit der Niederländer und aus den Kosten des Serums, das für Zellteilung und Wachstum des Kunstfleisches bisher unabdingbar war – gewonnen aus dem Blut ungeborener Kälber. Eine eher ungünstige Kombination aus hohen Entwicklungskosten und niedrigen moralischen Standards.

Mittlerweile sind aber weltweit fast 200 Unternehmen an der Entwicklung von »Fisch und Fleisch« aus Zellkulturen beteiligt. Egal ob Hirsch, Huhn, Lamm oder Lachs – aus dem zuvor entnommenen Gewebe der Tiere entsteht in der Petrischale eine fasrige Masse, die an Konsistenz und Geschmack ihrer natürlichen ›Spender‹ sehr nahe heranreicht – und diese müssen anschließend nicht im Topf landen, sondern können weiter Wälder, Wiesen und Wasser durchstreifen. Unter kontrollierten Laborbedingungen ließe sich außerdem die Gefahr von auf den Menschen übertragbaren Krankheiten, sogenannten »Zoonosen« und die Antibiotikagabe reduzieren.

Auch an einem pflanzlichen Serum, welches das Wachstum des kultivierten Fleisches fördert und damit Tierleid und Kosten reduziert, wird bereits erfolgreich geforscht. Denn auch dies ist eine Vorraussetzung dafür, dass In-Vitro-Fleisch zukünftig in ausreichenden Mengen bezahlbar produziert werden kann. Ob es aber jemals mit den Discounterpreisen für konventionelles Fleisch konkurrieren können wird, ist fraglich. Aber brauchen wir überhaupt so viel Fleisch, gleich ob es nun aus dem Stall oder dem Labor kommt?

Zwar sinkt der durchschnittliche Fleischkonsum in Europa Jahr für Jahr, doch noch immer beanspruchen die herkömmliche Tierhaltung und der Tierfutteranbau enorme landwirtschaftliche Flächen, bei gleichzeitigem hohen Wasser- und Energieverbrauch. Letzterer ist bei Laborfleisch sogar noch höher – eine Ressourcennutzung, die nicht unbedingt nach einer nachhaltigen Strategie für Europas Ernährungssouveränität schmeckt. Doch vielleicht steckt die Lösung in einer kleinen ›kulinarischen Mutprobe‹ …


Sind Insekten ein »kulturell angemessenes Nahrungsmittel«?


Close-up of edible insects in pumpkin soup, mealworms
Von sissoupitch – stock.adobe.com

Guten Appetit: Tenebrio molitor, die Larve des Mehlkäfers, in Europa als Lebensmittel zugelassen.


Zwischen Pragmatismus und Ekel

Würmer und Käfer wohin man auch schaut: In meterhoch übereinandergestapelten Plastikkisten wimmelt es nur so von winzigen Proteinquellen. Denn die Insekten, die so auf engsten Raum gezüchtet werden, enthalten neben Vitaminen, Mineralien und Ballaststoffen vor allem hochwertiges Eiweiß. Solche »Insektenfarmen« produzieren längst auch in Europa, z. B. Mehlwürmer, Wanderheuschrecken oder Hausgrillen – nicht mehr nur als günstiges und umweltschonendes Tierfutter, sondern auch für den menschlichen Verzehr.

Weltweit gibt es um die 2000 für den Menschen geeignete Insektenarten, bei uns sind sie auf dem Speiseplan noch unüblich und schon ihr bloßer Anblick ist oft mit Ekel verbunden. In der EU werden sie deshalb auch als »Novel Food«, als neuartiges Lebensmittel bezeichnet. Dabei sollen angeblich schon die alten Griechen Insekten als Delikatesse verspeist haben und noch im Jahr 1882 wurde in einer österreichischen Zeitschrift eine ›Maikäfersuppe‹ – 15 Käfer pro Teller! – empfohlen. Zwar sind Insekten auch bei uns als Lebensmittel zugelassen, aber gilt in Europa eine Schüssel mit Käfern als, um es mit einer Forderung von La Via Campesina zu formulieren, »kulturell angemessenes Nahrungsmittel«?

Ökonomisch betrachtet haben die gezüchteten Krabbeltiere jedenfalls eine hohe »Verwertungseffizienz«: sie verbrauchen im Vergleich zur konventionellen Tierzucht weniger Wasser und Energie, beanspruchen kleinere Flächen – und verursachen außerdem wenig Treibhausgase. Auch in Brüssel sieht man deshalb insektenbasierte Proteine als eine Möglichkeit für mehr Versorgungsunabhängigkeit – im mit insgesamt fast 100 Milliarden Euros budgetierten EU-Forschungsprogramm »Horizont Europa« gelten sie sogar als einer der Schlüsselbereiche.

Die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit im italienischen Parma, weist aber auch auf die Risiken z. B. allergischer Reaktionen durch den Verzehr essbarer Insekten hin. Manche Anbieter raten sogar vom Genuss ihrer eigenen Produkte während einer Schwangerschaft ab, und tatsächlich befinden sich viele Insekten noch in der Sicherheitsprüfung – nur wenige sind unter bestimmten Kennzeichnungsvorschriften zugelassen.

Heftig kritisiert wird die Nutzung von Tierschützern – für sie stellt die Zucht von Speiseinsekten eine ebenso grausame Massentierhaltung dar, wie die traditioneller Nutztiere. Die internationale Tierrechtsorganisation PETA, People for the Ethical Treatment of Animals, warnt gar vor einem Pandemierisiko und bemängelt außerdem, als »proteinreich« beworbene Lebensmittel aus Insekten enthielten nicht einmal den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestgehalt an Eiweiß, dafür aber viel ungesunde Fette und Salze.

Großmutters Küche wird »sensorisch optimiert«

Traditionell sind bei uns Fleisch, Fisch und Milchprodukte die Hauptproteinquellen – und das wird sich, trotz des sinkenden Verbrauchs, so schnell nicht grundlegend ändern. Doch auch abseits von teurem Laborfleisch und kulturellen Experimenten wie dem Verzehr von Insekten, lassen sich alternative Proteinquellen nutzen.

An den deutschen Fraunhofer-Instituten forscht man zwar auch an Speiseinsekten, doch mit dem Projekt »FutureProteins« entwickeln sie noch weitere Strategien zur Gewinnung proteinreicher Nahrung – Pflanzen und Pilze eignen sich dabei besonders als Alternative zu tierischen Eiweißquellen. Das Ziel lautet auch hier: eine gesunde, umwelt- und ressourcenschonende Lebensmittelproduktion, die im großen Umfang umsetzbar ist.

Als Ausgangsmaterial dienen den Forschern Hülsenfrüchte wie Ackerbohnen, Kichererbsen oder Lupinen, aber auch Ölsaaten und Getreide – selbst deren Nebenprodukte, z. B. Treber, enthalten noch viel Protein. Großes Potenzial haben auch Pilze, die Biotechnologen in den Laboren setzen dabei auf eine Technik, die schon in ›Großmutters Küche‹ angewendet wurde: Durch Fermentation, also durch Milchsäurevergärung, wird aus Pilzen sogenanntes »Mykoprotein« – für Snacks, Teigwaren oder Getränke.

Damit solche Produkte aber auch »Gaumenfreuden« bereiten, müssen sie allerdings eine »sensorische Optimierung« durchlaufen. Insbesondere Pflanzenproteine enthalten oft bitter schmeckende Inhaltsstoffe – eine der größten Herausforderungen für die Experten, da Textur und Geschmack neben gesundheitlichen Aspekten entscheidend für die breite Akzeptanz alternativer Lebensmittel sind.

Europas Speiseplan bleibt also abwechslungsreich, aber auch die Produktionsbedingungen werden immer weiter entwickelt. Denn auch die Art, wie wir Lebensmittel zukünftig herstellen, sorgt dafür, dass unsere Ernährungssouveränität weiter ausgebaut werden kann – z. B. in die Vertikale …


»Vertical Farming« verbraucht 95 Prozent weniger Wasser und bis zu 75 Prozent weniger Dünger als konventioneller Landbau


Hightech im Pflanzenhochhaus

In der Lebensmittelforschung setzen viele Wissenschaftler auf Contained Environmental Agriculture, auf geschlossene Anbausysteme, die eine ganzjährige und klimaunabhängige Produktion möglich machen. Dazu zählt auch das »Vertical Farming«, ein Landwirtschaftskonzept, das eigentlich eher eine ›Hochhauswirtschaft‹ ist, denn statt auf dem weitem Feld kann damit auch im urbanen Raum produziert werden – ohne lange Transportwege, ganz nahe am Verbraucher.

Vor den Toren der dänischen Hauptstadt Kopenhagen steht eine der größten »vertikalen Farmen« Europas, auf ganzen 14 Lagen werden hier Pflanzen kultiviert. Denn Dänemark fehlt es an Fläche: Schon fast 70 Prozent des kleinen Landes werden für die Landwirtschaft genutzt – höchste Zeit also für einen Senkrechtstart? Beim Betreiber Nordic Harvest zumindest sieht man klare Vorteile: Vertical Farming verbraucht 95 Prozent weniger Wasser und bis zu 75 Prozent weniger Dünger gegenüber dem konventionellen Landbau, während auf Pestizide gänzlich verzichtet wird – Schädlinge sollen in die ›geschlossenen Systeme‹ angeblich gar nicht erst gelangen.

Auf nur 7.000 Quadratmetern können so ganze 1.000 Tonnen Gemüse im Jahr produziert werden, und damit auf einem Bruchteil der für diese Menge auf dem Feld benötigten Fläche. All das geschieht in mit Hightech ausgestatteten Hallen – die Pflanzen wachsen statt in der Erde auf speziellen Platten, mit Nährstoffen versorgt werden sie über ein computergesteuertes Kreislaufsystem, für Licht und Wärme sorgen LED-Leuchten.

Letzteres hat wiederum einen großen Nachteil: Die hohen Energiekosten und die Investitionen für die Gebäudetechnik schlagen sich im Endpreis nieder, sodass in vertikalen Farmen bisher vor allem Blattgemüse oder Heilpflanzen angebaut werden – sie wachsen schnell und werden mehrmals im Jahr geerntet. Effizienz spielt auch hier eine wichtige Rolle, denn nicht nur kleine Länder wie Dänemark sind auf ressourcenschonende Produktionsformen angewiesen. Überall in Europa arbeiten die Agrarforscher also mit Hochdruck daran, die Landwirtschaft so zu transformieren, dass sie auch in Zukunft ausreichende Mengen produzieren kann und dabei die Umwelt weniger stark belastet.


Technologien können Arbeitskräfte ersetzen und die Effizienz steigern, aber ›grüne‹ Berufe wie Landwirt oder Agrarwissenschaftler bleiben unverzichtbar.


3D robot and robot arms in agricultural industry robotics solutions technology revolution, robot weeding harvesting nursery organic farm fully automated artificial intelligence smart virtual control
DIgilife – stock.adobe.com

KI und Robotik halten auch in der Landwirtschaft Einzug

Um diese Herausforderungen zu bewältigen, werden zunehmend auch verschiedene Präzisionstechnologien eingesetzt. Unter den Schlagwörtern »Smart Farming« oder «Digital Farming« versammeln sich z. B. Optimierungssoftware wie Farm-Management-Systeme, aber auch mit Künstlicher Intelligenz gestützte Landmaschinen. Während erstere schon von einem Großteil der Landwirte genutzt werden, gibt es beim Einsatz von »Feldrobotern« noch großes Steigerungspotenzial. Vor allem kleinere Betriebe setzen solche Maschinen nur zögerlich ein – dabei gibt es längst auch für kleinstrukturierte Landwirtschaft spezialisierte Maschinen.

Denn die Agrarrobotik ist innerhalb der Robotikindustrie einer der größten Wachstumsmärkte. Den einen Roboter für alle Fälle gibt es dabei eben nicht – jedes Modell wird für seine speziellen Einsatzgebiete entwickelt. Vom autonom fahrenden Miniroboter »Oz«, der für kleine Gärtnereien und Sonderkulturbetriebe gedacht ist, bis hin zum leistungsstarken Werkzeugträger »Robotti«, dessen Name nicht darüber hinwegtäuschen sollte, das er einen schweren Traktor ersetzen kann – ganz ohne Fahrer. Andere Modelle wie der »Farmdroid« fahren so präzise wie schonend durch die Pflanzreihen, dass sie die bisher notwendige Handarbeit überflüssig machen.

Der Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Landwirtschaft ist äußerst vielseitig: KI-basierte Melk- und Fütterungsroboter erledigen Routinearbeiten und messen zugleich die Körpertemperatur der Tiere, während autonome Mähdrescher ihre Arbeitsprozesse selbstständig erfassen und so dazu beitragen, den Kraftstoffverbrauch zu reduzieren und die Flächenleistung zu erhöhen. Aus den verwerteten Daten lassen sich außerdem digitale »Ertragskarten« erstellen, die z. B. den Saat- und Düngemittelbedarf eines Ackers präzisieren.

Solche Technologien können einerseits fehlende Arbeitskräfte ersetzen und die Effizienz der Lebensmittelproduktion steigern – gleichzeitig wachsen damit aber auch die Chancen in den sich rasant entwickelnden Tätigkeitsfelder auf den Bauernhöfen und in den Laboren. ›Grüne‹ Berufe wie Landwirt, Agrarwissenschaftler oder auch Lebensmitteltechnologe verändern sich zwar, aber sie bleiben auch zukünftig unverzichtbar für unsere Ernährungssouveränität.


Der Begriff der »strategischen Autonomie« ist in der Ernährungsfrage angekommen


Little girl holding a harvest of vegetables in the garden. Sustainable organic food.
Andrii Zastrozhnov – stock.adobe.com

Auch für ihre Zukunft: Europa braucht soziale, rentable und nachhaltige Lebensmittelsysteme.


Strategien statt Experimente

Die europäische Landwirtschaft befindet sich nicht erst seit Beginn der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) im steten Wandel – doch ihre zentrale Bedeutung für Europas Sicherheit bleibt bestehen. Dies gilt erst recht in Zeiten sich international verschärfender Konflikte, ökonomischer Herausforderungen und klimatischer Veränderungen. Die weltweite Ernährungssituation ist zweifellos von krassen Gegensätzen geprägt – während immer noch über 2 Milliarden Menschen keinen zuverlässigen Zugang zu Nahrung haben, nimmt gleichzeitig die Fehlernährung zu. Übergewicht und Adipositas sind aber keineswegs nur auf westliche Länder beschränkt. Auch im sogenannten »globalen Süden« wird dieses vielschichtige Phänomen als Teil grundsätzlicher Staatspolitik gesehen.

»Das Chinesische Volk muss seine Schüssel fest in der Hand halten und darf sich bei der Nahrungsmittelversorgung, einer grundlegenden Überlebensfrage, niemals von anderen an den Kragen gehen lassen.« Kämpferisch anmutenden Sätze wie dieser auf einem Parteitag der kommunistischen Führung Chinas gefallene zeigen, welche Bedeutung die Ernährungssouveränität auch außerhalb Europas hat.

Auch in China gilt bereits jeder zweite Mensch als übergewichtig – der Fleischkonsum hat sich dort in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht. Ein Drittel des weltweiten Fleischverzehrs entfällt heute auf das Land, welches während des vermeintlichen »Großen Sprungs nach vorn«, dem maoistischen ›Gesellschaftexperiment‹ Anfang der 1960er-Jahre, die größte Hungerkatastrophe der Welt durchlitten hat. Anders als in Europa scheint solch ein Ereignis als »transgenerationales Trauma« noch tief im kollektiven Bewusstsein verankert zu sein.

Chinas Wille zu seiner Ernährungssouveränität ist jedenfalls beeindruckend klar: die Abhängigkeit von internationalen Agrarmärkten soll drastisch reduziert werden, ein staatliches »Programm zur Revitalisierung des ländlichen Raumes« soll dessen Infrastruktur verbessern und gut ausgebildete junge Fachkräfte aus den ›eigenen Reihen‹ sollen dort angesiedelt werden. Man investiert große Summen in die Forschung zu voll digitalisierten Farmen und zur Tier- und Pflanzengenetik, aber auch im biologischen Landbau sieht das chinesische Landwirtschaftsministerium große Chancen.

Was bedeutet das nun für Europa? Entscheidend für unsere eigene Ernährungssouveränität wird sein, dass wir im globalen Wettbewerb um die besten Strategien nicht zurückfallen. Das von der Europäischen Kommission einberufene Forum »Strategischer Dialog«, geführt von Vertretern europäischer Lebensmittelproduzenten, Umweltorganisationen und Forschern, sieht in Technologien und Innovationen große Chancen für die Transformation der Landwirtschaft. Die ›Handlungsempfehlungen‹ des Forums zielen ebenso darauf ab, sozial verantwortungsvolle, wirtschaftlich rentable und ökologisch nachhaltige Lebensmittelsysteme für Europa zu schaffen – doch Brüssels »Mühlen mahlen langsam«. Immerhin: Die von der EU angestrebte »Strategische Autonomie« schließt, neben den Bereichen kritische Rohstoffe, Infrastruktur und Sicherheit, mittlerweile auch den des Lebensmittelsektors ein.

Der Begriff der strategischen Autonomie war lange Zeit auf militärische Sicherheitsfragen beschränkt, nun ist er auch in der Ernährungsfrage angekommen. Das ist gut so. Denn was ist neben der Fähigkeit, sich verteidigen zu können, wichtiger, als sich ernähren zu können?


WACHSTUM


Werden Sie ein Teil des Ganzen

WIE GEHT DAS?

ARTIKEL TEILEN