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Andreas Jürgens

Wir sind süchtig danach oder besser gesagt, zu fast 100 % davon abhängig: Lithium, das »weiße Gold«, ist der Rohstoff für Schlüsseltechnologien, er steckt in Smartphones, Elektroautos oder Werkzeugen. Der Bedarf wächst rasant, doch gedeckt wird er größtenteils durch teure Importe aus Südamerika und China. Auch in Europa schlummert ein Milliardenschatz, aber reicht der aus, um die gefährliche Abhängigkeit zu überwinden?

1817 entdeckte der schwedische Chemiker Johan August Arfwedson bei der Analyse von Gesteinsproben ein Leichtmetall, nannte es Lithion, nach dem altgriechischen Wort Lithos für Stein – und legte damit einen Grundstein für die Energiewende und Elektromobilität im 21. Jahrhundert. Doch nach den konfliktreichen Erfahrungen mit Öl- und Gaslieferungen droht bereits ein neues Problemszenario um die sichere Rohstoffversorgung. Lithium wird zwar aus weltweit über 50 Minen gefördert, doch zu einem erheblichen Teil in China weiterverarbeitet.

»Bewegt euch oder ihr verpasst das Boot«

Für Europa zählt Lithium zu den sogenannten strategischen kritischen Rohstoffen, das bedeutet, deren Bedarf steigt exponentiell an und es besteht gleichzeitig ein hohes Risiko an Lieferengpässen. Denn bis 2030 soll der Bedarf das Angebot übersteigen, bis 2050 soll er gar auf das Hundertfache hochschnellen. Dass aber nicht alles jederzeit – und zu jedem Preis – auf dem Weltmarkt zu haben ist, hat man auch in Europa spätestens seit der Coronakrise begriffen. Um die Abhängigkeit von nichteuropäischen Staaten zu reduzieren, will die EU nun die Eigenständigkeit in der Lithiumversorgung voranbringen.

So will man zukünftig bis zu einem Viertel des Bedarfs aus Recyclingprozessen decken. Außerdem soll der Anteil der Rohstoffe, die in Europa weiterverarbeitet werden, steigen, was mit Blick auf Chinas momentaner Monopolstellung besonders wichtig ist. Die Rede ist von einem »Klub für kritische Rohstoffe«, von gleich gesinnten Ländern, die bereit sind die globalen Lieferketten zu sichern.

Australien, der weltweit größte Lithiumförderer, ist momentan eng an die weiterverarbeitende Industrie Chinas gebunden, 96 % des australischen Ertrags werden dort ›veredelt‹. Die australische Regierung fordert die EU daher zu mehr Investitionen auf, um sich Anteile an den Vorräten zu sichern. »Bewegt euch oder ihr verpasst das Boot«, heißt es von dort. Auch in Südamerika wird Europa durch Investitionen aus China und Russland abgehängt. Wäre es angesichts dieser Lage nicht klüger, ›vor der eigenen Haustür zu graben‹, also den Anteil von Lithium aus Europa zu erhöhen?


Vom Rohstoff bis zum fertigen Auto – ›Made in Erzgebirge‹?


Europa im weißen Goldrausch

Im erzgebirgischen Zinnwald kennt man sich mit dem Heben von Schätzen aus. In der Bergbauregion zwischen Sachsen und Böhmen wurde bereits im 13. Jahrhundert Erz, später auch Wolfram und eben Zinn gewonnen. Nun will man hier zu einem der wichtigsten Lieferanten für die europäische Batterieproduktion werden, denn unter der Erde liegt eines der größten Lithiumvorkommen Europas, schätzungsweise 5 % der weltweiten Reserven. Millionen Tonnen weißen Goldes, genügend, um in den nächsten 30 Jahren knapp eine Million Elektroautos an den Start zu bringen und damit auch neue Arbeitsplätze. Selbst über eine komplette Produktionskette denkt man in der Region nach: Vom Rohstoffabbau über die Batterieherstellung bis zum fertigen Auto.

Im Oberrheingraben, einer 300 km langen Tiefebene im Südwesten Deutschlands, will man in den kommenden Jahren immerhin 12 % allein des deutschen Bedarfs an Lithium fördern. Gewonnen werden soll es hier quasi als Nebenprodukt des Geothermieverfahrens: Thermalwasser wird zur Wärmegewinnung aus fast 4000 Meter Tiefe abgepumpt, gleichzeitig wird Lithium extrahiert. In einem speziellen Kreislaufsystem wird das Wasser anschließend gefiltert wieder zurückgeleitet. Gegenüber den konventionellen Verfahren wie in Südamerika soll hier deutlich weniger Wasser verbraucht und kaum CO2 ausgestoßen werden. Allerdings fallen auch die Erträge deutlich geringer aus.

In Spanien, Serbien und Frankreich gibt es ebenfalls Projektvorhaben, mit denen beträchtliche Mengen an Lithium gewonnen werden sollen. Doch es regt sich auch Widerstand in den betroffenen Regionen. So soll es durch Bohrungen immer wieder zu Erdstößen gekommen sein, Risse in den umliegenden Wohnhäusern bereiten den Anwohnern Sorge. Mit entsprechender Planung, wie ständigen Messungen von Bodenvibrationen, sei das Risiko aber deutlich minimierbar, die Chancen und Vorteile würden überwiegen, meinen dagegen Geowissenschaftler.


Globale Krisen zwingen alle europäischen Akteure zum gemeinsamen Handeln.


Jede Quelle zählt

An der Montanuniversität im österreichischen Loeben sieht man im verstärkten Abbau europäischer Lithiumquellen, der Verlängerung von Batterieladezyklen und der Ausweitung der Recyclingprozesse gar Potenzial bis hin zur Selbstversorgung. Andere Experten dämpfen diese Erwartungen. Immerhin könnten laut einer Studie der Deutschen Rohstoffagentur bis zu 34 % des europäischen Bedarfs in Europa selbst gedeckt werden. Die Importabhängigkeit würde zwar durch keine der Maßnahmen beendet werden, aber auch dort fordert man die Erhöhung des Lithiumabbaus in Europa.

Lithium zählt jedenfalls zu den Schlüsselrohstoffen der Zukunft. Um die Abhängigkeit und damit die Gefahr von Versorgungsengpässen und Preisrisiken zu reduzieren, sollten alle Möglichkeiten der Gewinnung innerhalb Europas in Betracht gezogen werden. Auch wenn in Australien und Südamerika weiterhin der Großteil des Lithiums gefördert wird: Globale Krisen und regionale Kriege zwingen die Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Europas im Ringen um strategische kritische Rohstoffe zu entschlossenem – und vor allem gemeinsamen – Handeln.


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