Hype oder Hyperloop? Mit Tempo 900 durch Europa


Von München nach Frankfurt in nur 26, von London nach Paris in 28 Minuten. Bald sollen Vakuumröhren mit Passagierkapseln Europas Städte miteinander verbinden. Mit dem TUM Hyperloop will man nun im bayerischen Ottobrunn einen Meilenstein auf dem Weg in eine neue Mobilitätsära in ganz Europa setzen.


Hesperus

TUM Hyperloop Roll Out
TUM

Konkurrenz für den Passagierflugverkehr

Strahlende Gesichter und hochgestreckte Arme. Unter dem Jubel ihrer Kollegen steigen die beiden Testpassagiere Gabriele Semino und Florian Janke aus dem TUM Hyperloop Demonstrator. Die ersten 24 Meter Teststrecke sind geschafft. Mehr misst die Betonröhre, durch die man zukünftig tausende Kilometer quer durch Europa rasen soll, noch nicht. Doch die jungen Forscher und Entwickler an der Technischen Universität München (TUM) sind überzeugt: Der Hyperloop wird eine ernst zu nehmende Ergänzung zu Bahn und Flugzeug werden.

Bisher begrenzten vor allem zwei Faktoren hohe Geschwindigkeiten bei herkömmlichen Zügen: die Reibungskraft der Räder und der Luftwiderstand. Schon Mitte der 1930er-Jahre erkannte der deutsche Ingenieur Hermann Kemper das Problem und meldete seine Erfindung einer räderlosen Schwebebahn zum Patent an. Siemens und ThyssenKrupp entwickelten daraus den späteren Transrapid. In Deutschland wurde das Projekt 2006 abgebrochen und die Technologie schließlich von China übernommen, mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 600 km/h. Seitdem gab und gibt es zahlreiche Forschungsprogramme für den Ultrahochgeschwindigkeitsverkehr in Europa und den USA. 2015 schließlich schrieb der Tesla und SpaceX-Gründer Elon Musk insgesamt vier Wettbewerbe zur Entwicklung eines Hyperloop-Prototypen aus. Alle vier wurden von einer Studenteninitiative der Technischen Universität gewonnen. Heute ist das Projekt ein Teil der Hightech Agenda Bayern, eine 3,5 Milliarden Euro schwere Technologieoffensive.

Mit der Hyperlooptechnologie entwickelt man an der TUM eine kontaktlose Magnetschwebebahn, die durch eine nahezu luftleere Röhre schwebt. Dadurch könnten bis zu 900 km/h erreicht werden – eine echte Konkurrenz für den Passagierflugverkehr. Auch die Hyperloopkapseln, Pods genannt, sollen die großen Städte ohne Zwischenstopp ansteuern. City Hopping ganz ohne Flügel, dafür in komfortablen Einheiten mit bis zu fünf Personen. Mit ihrer Modularbauweise sind diese Pods aber auch für mehr Passagiere und sogar für den Frachtverkehr erweiterbar. Reisen sollen die Fahrgäste zwischen zentral gelegenen Stationen, sogenannten Mobility Hubs, die lange Wege wie zu Flughäfen ersparen. Sparsamkeit ist aber auch beim Energieverbrauch ein wichtiger Punkt, er soll deutlich geringer als im Flugverkehr und etwas niedriger als im Schienenverkehr ausfallen. Das Hyperloopsystem soll außerdem vollständig klimaneutral laufen – abhängig von der Stromerzeugung …


Die Passagierkapsel: Viel Platz, große Bildschirme und sogar Pflanzen.


TUM Hyperloop Interior Cockpit
TUM

Europa vernetzen

Beim Blick in das Innere der Passagierkapsel zeigt sich ein modernes Design, das eher an ein luxuriöses Privatjet als an die Großraumabteile der Bahn erinnert. Viel Platz, große Bildschirme und sogar Pflanzen sollen für eine angenehme Atmosphäre sorgen, denn Fenster hat der Prototyp bislang nicht. Man würde ohnehin den größten Teil der Reise auf eine Betonröhre starren, bei Tempo 900 eine einzige graue Fläche. Langeweile dürfte bei Reisezeiten von durchschnittlich einer halben Stunde zwischen den Stationen kaum aufkommen.

Kritiker bemängeln die noch unabsehbaren Kosten für den Bau eines solch gewaltigen Betonröhrennetzes und schlagen stattdessen den Ausbau weiterer Schnelltrassen für herkömmliche Züge vor. Die bringen es allerdings aktuell nur auf etwa 300 km/h – auf Teilstrecken und mit den üblichen Verspätungen. Der Hyperloop wiederum wäre noch mehr als diese Züge auf lange, gradlinige Streckenabschnitte angewiesen, weshalb er für Flächenstaaten wie China und dünn besiedelte Regionen wie Wüsten interessant sein dürfte. Wie bei jeder neuen Technologie stellt sich auch die Frage der Sicherheit: Was passiert beispielsweise, wenn ein Pod evakuiert werden muss, mitten in einer geschlossenen Vakuumröhre von gerade einmal 4 Meter Durchmesser?

Wie also kann Europa im weltweiten Mobilitätswettlauf besser vernetzt, wie seine Wirtschafts- und Verwaltungszentren besser miteinander verbunden werden? Anders als die eher zentral gelenkten Verkehrsnetze Chinas, den USA und Russlands müssen hier viele unterschiedliche Systeme koordiniert werden. Für die ländlichen Regionen Europas, in denen in der Vergangenheit zudem viele Strecken stillgelegt wurden, ist der Hyperloop eher keine Option. In diesem Bereich bleibt noch viel zu tun, damit Pendler und Landbevölkerung nicht von den Ballungsgebieten abgeschnitten werden.


»Wenn die Menschen es wollen, dann kommt es. Technisch können wir es«.

Domenik Radeck, technischer Leiter


Mit dem Fahrrad zum Hyperloop

Für die großen Städte entwickelte das TUM-Team allerdings ein Konzept zur optimalen Integration des Hyperloopsystems. Die Stationen, die Hyperloop Hubs, können modular je nach Platzbedarf und Passagieraufkommen in das Stadtbild integriert werden. Unterschiedliche Boardingzonen für Radfahrer, Busse oder S-Bahnen sowie getrennte Ein- und Ausstiegsbereiche sollen eine effiziente Anbindung und den reibungslosen Verkehrsfluss sicherstellen. Wenn die Technologie einmal betriebsreif ist, dürfte sie die Art, wie wir reisen und arbeiten, entscheidend verändern. Der erste Kilometer soll nun bald als Teststrecke auch für die Öffentlichkeit zugänglich entstehen. Dann wird sich zeigen, ob das System auch in Kurven und Steigungen Höchstleistungen bringt.

Riskante menschliche Rohrpost oder Mobiliätstechnologie von morgen? So kurz und komfortabel das Reisen im Hyperloop, weitläufig eingesetzt, auch sein mag: Mit einer Kapsel durch eine geschlossene, luftleere Röhre zu rasen, klingt für manchen gewöhnungsbedürftigt. Wird sich die Technologie wirtschaftlich und vor allem gesellschaftlich durchsetzen? Projektleiter Gabriele Semino argumentiert, auch heute gebe es eben noch Menschen mit Flugangst – trotz breiter Akzeptanz dieses Transportmittels. Der TUM Hyperloop zeigt aber auch: Europas Ingenieurskunst belegt immer noch Spitzenplätze und wird auch in Zukunft Geburtsort von Innovationen bleiben. Der technische Leiter Domenik Radeck, der von Anfang an dabei ist, ist sich sicher: »Wenn die Menschen es wollen, dann kommt es. Technisch können wir es«.

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