Küssen für Europa. Kulturhauptstädte 2024


Küssen für Europa – Europastern und Kussmünder
Küssen für Europa – stock.adobe.com (Good Studio/Natalia/HSPRS)

Hesperus

Seit 1985 erhalten europäische Städte jedes Jahr den Titel »Europäische Kulturhauptstadt«. Ziel ist die Förderung der ausgewählten Städte, die den kulturellen Reichtum und die Vielfalt Europas zeigen. Die Initiative soll das Gefühl der Zugehörigkeit der Europäer zu einem gemeinsamen Kulturraum und die europäische Identität stärken. Dieses Jahr tragen Bad Ischl, Bodø und Tartu diese Auszeichnung.

Bad Ischl – Österreich

Labyrinth aus Salz, Motoi Yamamoto – Foto Wolfgang Stadler
Labyrinth aus Salz, Motoi Yamamoto – Foto Wolfgang Stadler

Kurmusik, Konditorkunst und Kaisertage: Schon seit dem 19. Jahrhundert genießt man im österreichischen Bad Ischl die »Sommerfrische«, um der Hektik der Städte zu entkommen. Kaiserin Sisi hatte hier sogar ein eigenes Teehaus, das Marmorschlössl, um ihren Kuchen zu sich zu nehmen. Aber auch wegen seiner gesundheitsfördernden Badeanwendungen ist der Ort im Zentrum des Salzkammerguts seit über 200 Jahren bekannt. Die sollen nämlich schon kinderlosen Paaren zum ersehnten Nachwuchs verholfen haben, weswegen man so manches nach dem Kuraufenthalt geborene Kind »Salzprinz« nannte.

Urkundlich wurde »Ischelen« das erste Mal im Jahre 1262 erwähnt. Den Wohlstand der Stadt begründete aber die Nähe zu Halstatt, dem ältesten Salzbergwerk der Welt, wo Menschen schon vor 7000 Jahren Salz abbauten. Das Kurwasser trinkt man an der Ischler Trinkhalle darum auch unter der Inschrift »In sale et in sole omnia consistunt« (»Alles begründet sich auf Salz und die Sonne«).

Unter der Bad Ischler Sonne ließen sich schon Komponisten wie Anton Bruckner, Johann Strauß und Franz Lehár zu ihren Werken inspirieren und die Schriftsteller Arthur Schnitzler und Mark Twain schrieben auf dem Briefpapier der Hotels ihre Erzählungen. Kultur begleitet den idyllischen Kurort also schon lange, nicht erst seit man den Slogan »Kultur ist das neue Salz« für sich entdeckt hat. Mit dem »Lehár-Festival« findet z. B. jeden Sommer das größte Operettenfestspiel Europas in Bad Ischl statt. Kurkapellen und Jazzbands treten das ganze Jahr über auf und das heimische Brauchtum wird in der Region von jeher gepflegt.

Dieses Jahr wird den regionalen Traditionen und klassischen Events allerdings ein zeitgeistiges Update verpasst: Travestiekünstler Tom Wirth aka »Conchita Wurst« eröffnet das Programm und die Choreografin Doris Uhlich präsentiert eine Show, in der sich nackte Tänzer nicht einsalzen, sondern einpudern – den »Pudertanz«… Die zentrale Kunstausstellung der Kulturhauptstadt Bad Ischl bildet das Projekt »Sudhaus – Kunst mit Salz und Wasser«. Internationale Künstler präsentieren hier unterschiedliche Zugänge zu diesem Thema mit ihren Objekten, Installationen und Videoarbeiten.

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Bodø – Norwegen

Schwimmende Bühne im Hafen von Bodø – Foto Marien Nystad
Schwimmende Bühne im Hafen von Bodø – Foto Marie Nystad

Arktisches Licht, maritimes Erbe und atemberaubende Landschaften. Mit dem norwegischen Bodø ist zum ersten Mal eine Stadt nördlich des Polarkreises Kulturhauptstadt Europas und sie ist zugleich die ›jüngste‹ unter den dreien. Erst 1816 erhielt der Handelsplatz das Stadtrecht und wuchs durch Fischerei schnell an. Bodø liegt im Siedlungsgebiet der indigenen »Sami«, das sich über Norwegen, Schweden, Finnland und Russland erstreckt. Die samische Kultur bildet einen wichtigen Teil des kulturellen Lebens ab, so ist das Stadtmuseum zugleich ein Sami-Museum.

Einer der bekanntesten Söhne Bodøs war der Landschaftsmaler Adelsteen Normann, dessen Bilder prominente Käufer wie den begeisterten Nordlandreisenden Kaiser Wilhelm II. fanden. Normanns größerer Verdienst war es aber, dass er einem damals noch unbekannten Maler eine Ausstellung in Berlin vermittelte und so zu Weltruhm verhalf – seinem Landsmann Edvard Munch.

Durch die malerische Natur führt die »Nordlandeisenbahn«, begleitet von Elchen, Seeadlern und Rentieren. Norwegens längste Bahnlinie bietet einen einmaligen Ausblick auf die Landschaft. Die Natur stand und steht in Bodø immer im Mittelpunkt, denn sie ist ein wichtiger Teil der heimischen Kultur und die größte Inspirationsquelle für Künstler. So findet in der Region Europas einzige »Land Art Biennale« statt, bei der sich internationale Künstler mit der ortsspezifischen Umgebung auseinandersetzen. Dabei dürfen nur natürliche Materialien verwendet werden – die Natur soll die Kunstwerke mit der Zeit wieder ›zurückholen‹.

Auch die zentrale schwimmende Eventbühne im Hafen von Bodø ist den Organteilen eines Kabeljaus nachempfunden, mit denen er im Meer das Gleichgewicht hält. Sie ist so konstruiert, dass sie selbst den Orkanen standhält, die nicht selten über die Stadt hinwegfegen. Über tausend Veranstaltungen erwarten die Besucher ganzjährig in der Region: Musik, Theater, Kunstausstellungen und natürlich – die Natur.

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Tartu – Estland

Der Rathausplatz von Tartu – Foto Mana Kaasik
Der Rathausplatz von Tartu – Foto Mana Kaasik

Sie ist die älteste Stadt des Baltikums, trotzdem wohnen überdurchschnittlich viele junge Menschen hier. Im Zentrum rund um das Rathaus wirkt Tartu mit den neobarocken Bauten und dem Kopfsteinpflaster noch beschaulich, doch die mit knapp 100.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Estlands besitzt eine lebendige Kulturszene – und sie beherbergt auch die älteste Universität Estlands, die einst neben latein-, deutschprachig war.

In einer wechselvollen Geschichte zwischen Esten, Deutschen und Russen wurde die Stadt erstmals 1030 als Festung erwähnt, mehrmals erobert, zerstört – und wieder aufgebaut. Vielleicht ist dies auch ein Grund, warum sich Tartu als Europäische Kulturhauptstadt programmatisch einer besonderen Kunst widmet – der »Kunst des Überlebens«: dem Wissen, den Fähigkeiten und den Werten, die Europa helfen sollen, auch in Zukunft ein gutes Leben zu führen. Tartu führt als die vier Bausteine dieser Kunst Einzigartigkeit, Nachhaltigkeit, Bewusstsein und »Ko-Kreation«, also den gemeinschaftlichen Schöpfungsprozess an.

Dabei sollen sich die eher als verschlossen geltenden Esten und ihre Gäste offenbar auch körperlich näherkommen: »Kissing Tartu« heißt ein Kunstprojekt, die Liebe als eine der wichtigsten ›Überlebenstaktiken‹ betrachtet. Wer wollte da widersprechen? Auf dem Rathausplatz von Tartu steht denn auch eine Brunnenskulptur namens »Die küssenden Studenten«. Auf der Eröffnungsshow tanzten dann aber alle Generationen auf der Bühne und die estnische Kulturministerin wurde zur DJane. Das Motto der Aftershowparty: »All is one«

Die Kunst als verbindende Kraft, sie wird in Tartu auch im Estnischen Nationalmuseum, mit etwa 6000 m² das größte Museum Estlands, gezeigt. Ein weiteres kulturelles Highlight bildet das »Aparaaditehas«, ein ehemaliger Fabrikkomplex mit vielen Galerien und Ateliers auch internationaler Künstler. Die Forschungskultur wird im AHHAA, dem Wissenschaftszentrum von Estland gepflegt, denn in der Kulturhauptstadt Tartu will man Kunst mit Wissenschaft vereinen. Keine schlechte Idee für die Zukunft Europas.

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