KUNST
Caspar David Friedrich – der Mystiker mit dem Pinsel
Caspar David Friedrich. Gerhard von Kügelgen. Gemeinfrei / Wikimedia (Bearb. Hesperus)
Hesperus
Caspar David Friedrich: Romantischer Patriot, Nordlicht in Sachsen, stilles Genie. Goethe wollte einst seine Bilder auf der Tischkante zerschlagen, anderen gilt er sogar als Vorreiter der Moderne. Nach seinem Tod lange Zeit vergessen, zählt Friedrich heute zu den bedeutendsten Künstlern Deutschlands. Wer war der »Mystiker mit dem Pinsel«?
Eine kleine Ausflugsgruppe, in den Bann gezogen von der Schönheit eines einzigartigen Ausblicks: Aus den glitzernden Wellen des Meeres ragen zwei Segelboote, eingerahmt von blendend weißen Felsen, deren Ränder jederzeit abzubrechen drohen. Darüber beugen sich Bäume mit freigelegten Wurzeln – stürzen auch sie bald in das von der Kreide gefärbte Wasser? Die drei Personen in dem Bild werden ihren Aussichtspunkt so schnell nicht verlassen wollen. Schweigend, staunend vielleicht blicken sie auf die offene See, nur ab und an machen sie eine kurze Bemerkung über die bizarren Felsformationen. Man möchte sich dazusetzen, einander wortlos zunickend. Die Naturanschauung genügt.
Nebelschwaden, aus denen dunkle Felsspitzen herausragen, darauf vereinzelt kleinere Bäume. Dahinter erheben sich Berge, die allmählich zu Hügeln abfallen, bis sie sich im grenzenlosen Graublau verlieren. In der Bildmitte: ein einsamer Mann, der seinen Blick in diese Landschaft richtet. Sie scheint ihm in diesem Moment ganz allein zu gehören. Mit dem Rücken zum Betrachter steht er da, versunken in die erhabene Natur, die sich vor ihm ausbreitet. Hat er sein Ziel erreicht oder drängt es ihn danach, auf einen noch höheren Gipfel zu steigen? Vielleicht dreht er sich gleich um und lädt uns ein, neben ihm Platz zu nehmen, um die beeindruckende Aussicht mit ihm zu teilen.
Mit diesen Gemälden hat Caspar David Friedrich (1774 – 1840) die Kreidefelsen auf der Ostseeinsel Rügen und das Elbsandsteingebirge in der Sächsischen Schweiz weltberühmt gemacht – oder vielmehr sie ihn. Denn zwischen diesen beiden Orten fand er die Sujets für seine große Kunst. Geboren im mecklenburgischen Greifswald, erhielt er mit 14 Jahren Zeichenunterricht und studierte später an der Dänischen Kunstakademie Kopenhagen, die damals als die fortschrittlichste Europas galt. Das Zeichnen und Modellieren lernte er dort, doch die Malerei entdeckte er erst mit dem Umzug 1798 nach Dresden.
Statt abgemalte Natur romantische Interpretation
1808, relativ spät mit 34 Jahren, präsentierte er sein erstes monumentales Ölgemälde, »Das Kreuz im Gebirge«. Auf einem Gipfel steht, von dunklen Tannen umgeben, ein Christuskreuz. Unnatürliche Lichtstrahlen queren den von schwarzen Wolken fast bedeckten roten Himmel. Ein Altarbild, das allerdings nie den Weg in eine Kirche fand, sondern in die Privatgemächer eines Grafen. Dieses Werk brach mit dem damaligen Kunstverständnis, Kritiker verrissen das Werk als anmaßend: Ein Landschaftsbild, wenn auch stark symbolträchtig, hätte auf dem Altar nichts zu suchen. Man nahm die Kritik zum Anlass einer generellen Auseinandersetzung mit der frühen romantischen Kunst, in der die Landschaftsmalerei letztlich eine enorme Aufwertung erfuhr. Friedrich widmete von nun an einen Großteil seines Schaffens dieser Gattung.
Doch seine Gemälde sind nicht einfach abgemalte Natur, sondern Sinnbilder, in Szene gesetzte Erzählungen. Häufig legen Tempelruinen, Schiffwracks und menschliche Schattenrisse seinen melancholisch-düsteren Blick auf das Verhältnis zwischen Mensch und Natur frei – die Zivilisation hinterlässt ihre Spuren. Zu seinem Werk zählen aber auch Bilder wie »Der Sommer«: Ein junges Paar sitzt, in antik anmutender Kleidung, eng umschlungen inmitten einer idyllischen Flusslandschaft, ganz im Einklang mit der blühenden Umgebung. Eine Interpretation des unerreichbar mythischen Arkadien und ein selten heiterer Kontrast zu seinem weitaus bekannteren Werk »Das Eismeer«, das er 1822 malte. Doch beide eint die für Friedrich typische Herangehensweise, für ein Bild nicht die realitätsgetreue Umsetzung der Natur vorzunehmen, sondern diese zu »romantisieren«, ihr »einen hohen Sinn, ein geheimnisvolles Ansehen« zu geben, wie es der Dichter der deutschen Romantik, Novalis, formulierte.
Seine intensive zeichnerische Ausbildung und eine relativ späte Hinwendung zur Malerei spiegeln sich ebenfalls in seiner Arbeitsweise: Bevor er die Farben auf eine Leinwand setzte, fertigte er von unterschiedlichen Orten sorgfältige Skizzen an. Friedrich malte nicht en plein air, im Freien, sondern ging – mit einem Fernrohr ausgestattet! – zunächst auf Motivsuche. Erst im Atelier wurden die Zeichnungen und die darauf notierten Farbwerte in Ölfarben umgesetzt und ein Bild aus den verschiedensten Eindrücken ›komponiert‹. So versetzte er Klosterruinen aus Norddeutschland in das Riesengebirge und die zugefrorene Elbe wurde in seiner Fantasie zum polaren »Eismeer«, in dem sich riesige zerborstene Schollen auftürmen und ein Schiff unter sich begraben. Die Natur diente ihm nie als reine Vorlage, sondern als Projektionsfläche für Symbolik und romantische Interpretation.
»Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann förder zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen.«
Caspar David Friedrich
Der tiefe Blick in die innere Landschaft
Caspar David Friedrich malte in einer unruhigen Zeit, zwischen Befreiungskriegen und beginnender Industrialisierung. Dem versuchte er sich durch seinen zeitweisen Rückzug in die Sächsische Schweiz zu entziehen, wo auch die Skizzen für sein bekanntestes Werk, dem »Wanderer über dem Nebelmeer« entstanden. Friedrichs Groll gegen die französischen Besatzer ist aus der historischen Perspektive nur allzu verständlich und verdeutlicht sich besonders in einem Werk, das er 1814 fertigstellte: Das Gemälde »Der Chasseur im Walde« zeigt einen einzelnen und offenbar orientierungslosen Soldaten der napoleonischen Truppen, ›umzingelt‹ von riesigen Tannen. Ein Rabe hockt unheilvoll auf einem Baumstumpf und beobachtet den Eindringling. Steht dem Chasseur das gleiche Schicksal bevor wie den Legionären des Varus im Teutoburger Wald?
Chasseur und Rabe werden ihrerseits von uns, die wir auf das Bild schauen, beobachtet. Auffallend oft zeigen Friedrichs Bilder diese sogenannten »Rückenfiguren«, die sich vom Betrachter abwenden, um räumliche Tiefe zu vermitteln und so ein eigenes Eintauchen in das Bildgeschehen zu ermöglichen. Ob im Wald, am Meer oder im Gebirge – das Darstellungsmittel der Rückenfigur wurde zu seinem Markenzeichen. War Caspar David Friedrich selbst auch ein ›abgewandter‹ Mensch, war er einsam wie heute oft behauptet wird?
Die wenigen Menschen, die er in seine imposanten Landschaften, vor die farbprächtigen Himmel oder zwischen dunkle Ruinen stellte, scheinen keineswegs isoliert, sondern magisch umfasst von der Natur, die den riesigen Raum um sie herum einnimmt. Viele solcher Ansichten sind mittlerweile zugebaut oder längst touristisch erschlossen. Wollte Friedrich dort heute in Ruhe zeichnen, nicht selten würden ihm wohl Wandergruppen und Selfiefotografen die Sicht versperren. »Die Einsamkeit brauche ich für das Gespräch mit der Natur«, schrieb er und lebte wochenlang allein zwischen »Felsen und Tannen«. Auch eine Einladung zu einer Italienreise, dem Sehnsuchtsort vieler Künstler aus dem Norden, lehnte er ab. Seine eigentlichen Motive fand er in seinem Inneren, denn sähe ein Künstler nichts in sich, so solle er auch nicht malen, was er vor sich sehe, so Friedrich.
Vorreiter der Moderne
Trotz der melancholischen Grundstimmung seines Werkes zog Caspar David Friedrich schließlich breite Aufmerksamkeit auf sich. Er fand prominente Käufer – der Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen und der spätere russische Zar Nikolaus I. kauften direkt in seinem Atelier Bilder an – und selbst aus dem einst feindlichen Frankreich bekam er Lob. In Schweden, das lange in Friedrichs Heimat Pommern herrschte, nannte man ihn einen »Mystiker mit Pinsel«. Sein Spätwerk »Das große Gehege bei Dresden« entfernt sich von der düsteren Farbpalette und zeigt eine abendliche Flusslandschaft, die von einem geradezu glühenden Himmel überwölbt wird. Goethe dagegen verschmähte Friedrichs Kunst, nach anfänglicher Bewunderung, als ›zersetzend‹ – und wollte dessen Bilder schließlich gar ›auf der Tischkante zerschlagen‹. Im Gegensatz zu Novalis verurteilte Goethe die Romantik als »täuschend wie die Bilder einer Zimmerlaterne«: Zuviel Fantasie, zuviel Scheinwirklichkeit meinte ausgerechnet der Dichterfürst und Schöpfer des »Faust« in der romantischen Kunst zu erkennen.
Wiederum erst spät, mit 44 Jahren, gründete Friedrich eine Familie. Seine 20 Jahre jüngere Frau Caroline, die er in einem Bleistiftgeschäft kennenlernte, schenkte ihm vier Kinder. Nach seinem Tod 1840 wurde es dann tatsächlich einsam um sein Werk. Im Ausstellungsgeschehen der folgenden Jahrzehnte kamen seine Bilder praktisch nicht mehr vor. Sie hingen, heute kaum vorstellbar, in den Wohnstuben seiner Freunde und Verwandten und wurden Besuchern eher beiläufig gezeigt. Erst ab dem 20. Jahrhundert entdeckte man ihn wieder. 1906 holte ihn die Berliner Nationalgalerie mit der »Deutschen Jahrhundertausstellung« aus der Vergessenheit und feierte ihn als Vorreiter der Moderne. Als Samuel Beckett 1936 Deutschland besuchte, inspirierte ihn Friedrichs Gemälde »Zwei Männer in Betrachtung des Mondes« zu seinem Theaterstück »Warten auf Godot«. 2023 wurde eines von Friedrichs Skizzenbücher, aus denen er seine Landschaften zusammensetzte, für ganze 1,8 Millionen Euro versteigert. 2024 jährte sich der Geburtstag dieses großen Meisters der Romantik zum 250. Mal. Gefeiert wurde er in Ausstellungen unter anderem in seiner Geburtsstadt Greifswald und in Dresden, wo ein Großteil seines Werkes bewahrt wird. Vierzig Jahre war die sächsische Landeshauptstadt die wichtigste Wirkungsstätte des Malers und sein Lebensmittelpunkt. Dieses ›Comeback‹ dauert bis heute an.