Bild: Hesperus/Adobe


Andreas Jürgens

Novalis. Ein schwärmerischer Poet, ein ästhetisierender Feingeist? Die blaue Blume, das Symbol für romantische Sehnsucht par excellence, geht auf ihn, einen der bekanntesten Vertreter der Frühromantik zurück. Aber Friedrich von Hardenberg war kein weltabgewandter Träumer, sondern Jurist und Geologe, der seine Kunst oft in der Nacht ausüben musste, dann aber als Schriftsteller bis zu seinem frühen Tod mit nur 29 Jahren ein vielschichtiges Werk erschuf. Hierin wurde er zu Novalis, einem der »Neuland bestellt« und nahm damit einen alten Namenszusatz seiner Vorfahren als künstlerisches Pseudonym an.


»Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.«

Novalis, Fragmente und Studien 1797–1798


Als Zeitzeuge der Industrialisierung und der Aufklärung sieht Novalis einen Riss in der Welt, der Gewinnstreben und kühle Vernunft vom Wunderbaren, vom Geheimnisvollen trennt. Zwar ist er selbst im Salinenwesen tätig, erschließt Braunkohlevorkommen, erstellt Bilanzen und Rechnungen und wie viele seiner jungen Zeitgenossen findet auch er zunächst Gefallen an den Idealen der Französischen Revolution. Doch mit dem Grande Terreur, der Schreckensherrschaft der Jakobiner, kommt die Ernüchterung. Er beklagt das Verschwinden des Göttlichen, fordert eine Ergänzung des rationalen Denkens – nicht die Beschränkung darauf – und sieht eine neue Epoche anbrechen, die Vernunft und Gefühl in sich vereint. Für ihn ist seine Zeit vor allem geprägt von Uneinigkeit und Erstarrung, in der aber besonders befähigte Menschen die Hoffnung aufrecht erhalten: die Verliebten, die Poeten – und die Kinder. Was folgen soll, ist eine höhere Stufe der Harmonie, in der jeder Mensch »thronfähig« ist.

In seiner Rede »Europa« entfaltet Novalis sein Zukunftsmodell für einen im geistlichen Sinne geeinten Kontinent, denn »Wo keine Götter sind, walten Gespenster«. Wird in ihr einem verklärten, glanzvollen Mittelalter das Wort geredet, preist Novalis gleichzeitig dessen »ungeheure Höhe« in den Wissenschaften und den Künsten ebenso wie den blühenden Handel in Europa und darüber hinaus. Doch sei der Mensch noch nicht reif genug und sein Sinn für ›das Unsichtbare‹ getrübt gewesen. Umso deutlicher formuliert er dann das Ziel: die Überwindung von Spaltung und Krieg in Europa und die Versöhnung seiner Völker unter dem »Palmzweig« eines erneuerten, friedenstiftenden Christentums. Eine Vision einer solchen geheimnisvollen, romantisierten Welt legt der Dichter auch in den folgenden Zeilen dar:


Wenn nicht mehr Zahlen und FigurenSind Schlüssel aller KreaturenWenn die, so singen oder küssen,Mehr als die Tiefgelehrten wissen,Wenn sich die Welt ins freye LebenUnd in die Welt wird zurück begeben,Wenn dann sich wieder Licht und SchattenZu ächter Klarheit werden gatten,Und man in Mährchen und GedichtenErkennt die wahren Weltgeschichten,Dann fliegt vor Einem geheimen WortDas ganze verkehrte Wesen fort.


Dieses Gedicht findet sich im Romanfragment »Heinrich von Ofterdingen«. Stellt der Schriftsteller Novalis hier seine Kunst über die Naturwissenschaft des Geologen Friedrich von Hardenberg oder dient ihm das »geheime Wort« als Chiffre für etwas, das allein mit dem rationalen Blick nicht zu erkennen ist, das sich nur in der Vereinigung von Vernunft und Gefühl offenbart? In diesem Roman führt Novalis auch das für die Romantik so zentrale Symbol der blauen Blume ein. Im Traum badet der 20-jährige Heinrich in einer märchenhaften Grotte und nähert sich einer Pflanze, die auch farblich unter allen anderen hervorsticht. Plötzlich bewegen und verwandeln sich ihre glänzenden, lichtblauen Blätter, die Blume neigt sich ihm zu und er erkennt darin ein Mädchengesicht. Doch bevor er sie erreicht, erwacht Heinrich aus seinem Traum.

Blau ist in der Botanik tatsächlich eher selten und hebt sich vom roten, gelben und weißen Blumenmeer ab. Das Seltene und Schöne ist es, nach dem man sich sehnt. Doch die Forderung, seine Sehnsüchte aus dem Traum mit in das wache Leben zu nehmen, stellt der Autor selbst: »Man muss in der Welt seyn, was man auf dem Papier ist – Ideenschöpfer«, so von Hardenberg.

Schreiben, romantisieren und philosophieren, das tat er als Novalis, oft nach einem anstrengenden Arbeitstag, bis spät in die Nacht hinein am Rande des Kyffhäusergebirges. Diese Gegend ist auch Schauplatz der populären Kyffhäusersage, in der ein schlafender Friedenskaiser – in einer der im Roman ähnelnden Höhle – auf seine Erweckung wartet. Die mystische Nacht ist es denn auch, die Novalis, neben der blauen Blume, in die Romantik einführt. In seinem Gedichtzyklus »Hymnen an die Nacht« vollzieht sich die Wendung vom harten Tageslicht der Rationalität hin zur »heiligen, unaussprechlichen, geheimnißvollen Nacht«. Hier verarbeitet er den frühen Tod seiner Verlobten, erlebt in ihr aber auch Momente voller Enthusiasmus. Die Nacht ist für ihn, den schöpferischen Geist, eine »Himmelsgenossin der Phantasie«.


Hinüber wall ich,Und jede PeinWird einst ein StachelDer Wollust sein.Noch wenig Zeiten,So bin ich los,Und liege trunkenDer Liebe im Schoß.Unendliches LebenWogt mächtig in mir,Ich schaue von obenHerunter nach dir.An jenem HügelVerlischt dein Glanz –Ein Schatten bringetDen kühlenden Kranz.Oh! sauge, Geliebter,Gewaltig mich an,Daß ich entschlummernUnd lieben kann.Ich fühle des TodesVerjüngende Flut,Zu Balsam und ÄtherVerwandelt mein Blut –Ich lebe bei TageVoll Glauben und MutUnd sterbe die NächteIn heiliger Glut.

Aus der 4. Hymne


Am 25. März 1801 starb Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis, im Alter von 29 Jahren in Weißenfels im heutigen Sachsen-Anhalt. Mit dem kitschigen Konsumismus von heute hat seine Kunst nichts gemein. Für ihn hatten die Poeten eine, durchaus der realen Welt zuordenbare, Aufgabe: die Hoffnung auf eine neue Zeit wachzuhalten und die Gegenwart mit ihren Worten – und Taten – zu romantisieren. Seine »Europa«-Rede wurde erst ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod erstmals vollständig abgedruckt. Darin rief er zu Heiterkeit und tatkräftigem Mut bis zum Anbruch der von ihm erhofften neuen Epoche auf. »Nur Geduld, sie muss kommen, die Zeit des ewigen Friedens …«


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