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Andreas Jürgens

Ist Musik eine Universalsprache oder kulturell verankert? Überall bewegt und beeinflusst sie Menschen: sie bringt uns in Hochstimmung, kann entspannen oder gar Aggressionen auslösen. In manchen Regionen ist sie verboten, weil man ihre Kraft fürchtet, anderenorts ist sie heilig. Wie wirkmächtig ist Musik, dass sie seit Jahrtausenden durch die Menschheitsgeschichte erklingt – und welche Rolle spielt Europa dabei?

Teil 3: Wiener Dreigestirn

Das gefangene Genie

Der Rumms kam nach 16 Takten melodischer Behaglichkeit, die letzten nur noch von leisem Geigenzupfen getragen – dann riss es das Publikum aus den Sitzen. Das gesamte Orchester und die mit besonders dicken Schlegeln bespielten Pauken überraschten sogar das verwöhnte Londoner Publikum des Jahres 1792. Joseph Haydns Uraufführung seiner »Symphonie mit dem Paukenschlag«, von den Engländern The Surprise genannt, wurde in der damals größten Stadt Europas mit Begeisterung aufgenommen. Haydn selbst war wohl eher überrascht vom stattlichen Honorar: Mit einem einzigen Londoner Konzert spielte er ein, was er früher in einem ganzen Jahr verdiente. Denn der Vater der »Wiener Klassik« war zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon pensioniert.

Eine Vorliebe für Pauken hatte Haydn schon als Kind, sehr zum Leidwesen seiner lärmgeplagten Familie. Die entdeckte aber auch noch ein anderes Talent des jungen »Sepperl«: Er besaß eine ausgesprochen schöne Gesangsstimme, mit der er es bis in den kaiserlichen Domchor zu Wien brachte, wo er bereits zu komponieren begann. Dann bereitete der Stimmbruch dieser privilegierten Stellung ein Ende, denn das Joseph zum Kastraten gemacht wurde – eine damals noch durchaus übliche Methode, um die hohe Stimmlage zu erhalten – verhinderte sein Vater glücklicherweise im letzten Augenblick.

Joseph Haydns eigentliche Karriere begann aber nicht in der Kaiserstadt, sondern in der Abgeschiedenheit eines Landschlosses: 1761 trat er in den Dienst des Fürsten Esterházy, er wirkte und lebte deshalb meist abseits von Wien in Deutsch-Westungarn. Dort komponierte der Hofkapellmeister Haydn 30 Jahre lang Symphonien, Opern, Messen und Sonaten und leitete den fürstlichen Konzert- und Opernbetrieb. Daneben nahm er aber auch Auftragsarbeiten an, was Esterházy nur neidvoll duldete, denn schon bald reichte Haydns Ruhm bis nach Wien und darüber hinaus. Sogar in England rief man in Zeitungen dazu auf, Haydn aus der »ungarischen Gefangenschaft« zu befreien und ihn nach London zu bringen.

In der Provinz konnte Haydn aber auch seinen ganz persönlichen Stil entwickeln und durch jahrelanges Experimentieren schließlich »klassisch« werden, oder wie er es selbst beschrieb: »Ich war von der Welt abgesondert, niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selber irre machen und quälen, und so musste ich original werden.« Diese Originalität zeigte sich vor allem in seiner Instrumentalmusik, hier prägte er besonders die Symphonien und Streichquartette der anbrechenden Klassikepoche.


Beim Hören von Haydns Werken sollte man sich keines Expertenwissens bedienen müssen, sondern seines musikalischen Gefühls, des »Verstandes des Herzens«.


Aufklärende Töne

Bereits zu Beginn seiner Esterházy-Zeit komponierte Haydn auf so ausdrucksstarke Weise, dass man bis heute von seinen »Sturm und Drang-Symphonien« spricht, in Anlehnung an die damals aufkommende literarische Strömung und deren Leitbild des »Originalgenies«. Zwar griff er noch die etwas aus der Mode gekommene Kontrapunktik auf, eine Kompositionstechnik, bei der mehrere Stimmen nebeneinander geführt werden. Doch Haydn entwickelte daraus eine Art ›demokratischen Stil‹: alle Stimmen, alle Instrumente konnten bei ihm gleichberechtigt musikalische Themen übernehmen und einander ablösen.

Goethe, der Klassiker der Worte, beschrieb die Sechs Streichquartette op. 33 des Klassikers der Töne, so einfach wie präzise: hier »unterhielten sich vernünftige Leute miteinander«. Auch wenn Haydn dieses Werk wiederum einem Adligen widmete, dem Großfürsten Paul von Russland, – die »Aufklärung« hinterließ auch in seiner Musik ihre Spuren. Sein Ziel war es, den Hörer aus seiner Rolle des bloß zu Unterhaltenen herauszuholen und zu einem bewussten Mithörer zu ›erziehen‹. Denn damals wurde während des Konzerts durchaus noch geplaudert, gegessen oder Karten gespielt.

Doch beim Hören von Haydns Werken sollte man sich keines Expertenwissens bedienen müssen, sondern seines musikalischen Gefühls, des »Verstandes des Herzens«. Haydn als ›komponierender Kantianer‹? Der Philosoph hätte sich wohl eher über die Lautstärke beschwert oder bestenfalls im Konzertsaal nebenher gelesen, denn der große Aufklärer setzte nicht die Ton-, sondern die Dichtkunst an die Spitze der kulturellen Rangliste. Musik dagegen bezeichnete Immanuel Kant in seiner »Kritik der Urtheilskraft« als erkenntnislosen Zeitvertreib, als »bloß vorübergehend«, flüchtig zwar, doch aufdringlich wie ein »parfümiertes Schnupftuch«, dessen ausbreitender Geruch allen aufgenötigt wird.

Für Haydns Musik braucht man aber im Gegensatz zu Kants »Drei Kritiken« keine langen Einführungen – es reicht ein offenes Ohr. Eine der wohl bekanntesten Komposition Haydns schaffte es jedenfalls in die Ohren und Herzen der Patrioten, in das diplomatische Protokoll – und sogar in die Fußballstadien: Das Lied »Gott erhalte« oder einfach das Kaiserlied, bildet heute die Melodie der deutschen Nationalhymne. Bei der Wiener Uraufführung 1795 wurden die Besucher übrigens noch zum Mitsingen aufgefordert. Der aktuelle Text huldigt, der Republik sei Dank, keinem Monarchen mehr, sondern strebt nach »Einigkeit und Recht und Freiheit« – Werten, die man mitsingend vielleicht wieder mehr verinnerlicht …

Als sein Dienstherr, der ihn 30 Jahre in der Provinz ›gefangen‹ hielt, 1790 starb, war Haydn endlich frei und zog nach Wien, wo er noch fast zwei Jahrzehnte lang komponierte. Von dort aus unternahm er zweimal längere Konzertreisen nach England, wovon man ihm zunächst abriet, weil er kaum ein Wort Englisch sprach. Doch der Komponist reagierte gelassen: »Meine Sprache verstehet man durch die ganze Welt«. In der Tat: Joseph Haydn hinterließ ein enormes musikalisches Werk, das die verschnörkelte Komplexität des Spätbarock endgültig durch zusammenhängende, klare Strukturen mit starken Kontrasten ablöste – eine Musik, die bis heute ›jedermann‹ zugänglich ist. Seit Haydn gelten Symphonie, Streichquartett und Klaviersonate als die wichtigsten Gattungen klassischer europäischer Instrumentalmusik – der Kunstmusik, die durch die Kulturen hindurch zur »Weltmusik« wurde.

Kopflos in Wien

Im Sarg lagen die Gebeine – und eine leere Perücke! 1809 war Joseph Haydn mit damals beachtlichen 77 Jahren gestorben. Doch als er erst ganze 11 Jahre später in ein Ehrengrab umgebettet werden sollte, lag nur noch ein kopfloses Skelett im Sarg. Schon zu Lebzeiten wurde der Komponist so bewundert, dass man sich fragte, wo sich das Genie des »unsterblichen Meisters« befände. Auch nach seinem Tod waren besonders besessene Verehrer Haydns überzeugt: in der Schädeldecke müsse es stecken! Sie öffneten das noch frische Grab und schnitten den »verehrungswürdigen Kopf« ab, weil sie glaubten, dort den einzigartigen »Tonsinn« des Komponisten zu finden.

Umgebettet wurden Haydns sterbliche Überreste trotzdem kurz nach der grausigen Entdeckung, auch ohne den ›genialen Schädel‹. Dieses zweite Begräbnis fand 1820 unter den bewegenden Klängen eines Requiems statt, dessen Komponist noch vor Haydn gestorben war. Die beiden waren befreundet und der ältere Haydn sagte über seinen jüngeren Kollegen, dieser sei »der grösste Componist, den ich von Person und dem Nahmen nach kenne: er hat geschmack, und über das die grösste Compositionswissenschaft« …


Ein Wunderkind, das »so ziemlich alle art und styl von Compositions annehmen und nachahmen« kann.


Ein Tritt als Karriereschub

Salzburg im Jahr 1781. Mit einem kräftigen Tritt in den Hintern befördert man einen jungen Mann aus den höfischen Diensten hinaus in die Selbstständigkeit – und katapultiert ihn genau damit in die besten Jahre seiner Karriere. Doch der Rauswurf war provoziert: Mehr Geld und vor allem mehr künstlerische Freiheit, sich »losreißen und laufen« will er. Erst im Frühjahr feierte seine italienischsprachige Oper »Idomeneo« am Münchner Residenztheater Premiere. Hier erneuerte er noch einmal die barocke Opera seria. Doch es ist bereits sein ›Spätjugendwerk‹ – nun wartet Wien auf den Komponisten, der als die ›Numero due‹ eines musikalischen Dreigestirns die Wiener Klassik bedeutend prägen sollte.

Eine Schule besuchte er nie, aber bereits mit 5 Jahren komponierte »Wolferl« seine ersten Stücke, begleitete seinen Vater auf ausgedehnten Konzertreisen quer durch Europa und wurde mit nur 13 Jahren Konzertmeister der Salzburger Hofkapelle. Das musikalische »Wunderkind« Wolfgang Amadeus Mozart erhielt allerdings schon früh umfassenden Klavier-, Geigen- und Gesangsunterricht und lernte wie nebenher Lesen, Rechnen, Schreiben, Fremdsprachen und – gute Manieren. Denn sein Privatlehrer, Vater Leopold Mozart, selbst Komponist und Pädagoge, erkannte früh das Talent seines Sohnes. Allein auf ein Wunder wollte er sich wohl nicht verlassen, wenn der kleine Mozart vor großem Publikum in Paris, London und Brüssel spielte.

Ein Drittel seines kurzen Lebens verbrachte Mozart mit diesen musikalischen Reisen durch die Welt. War das Lateinische damals die Universalsprache der Wissenschaft und der Kirche, so war dies in der Kunst die »Kunstmusik«. Und »Die Welt«, das war nach damaligem europäischen Verständnis Europa – weniger als politischer Begriff denn als kulturelle Selbstverständlichkeit. In Jahrhunderten hatte sich durch die Mobilität der Musiker, den regen Austausch der verschiedenen Kompositionstechniken, nicht zuletzt durch den Stil des »vermischten Geschmacks« eines Johann Sebastian Bach, ein enormer musikalischer Kulturraum entwickelt. Hier brauchte es keine ›Übersetzungen‹.

Auch Mozart fühlte sich früh, zumindest in kompositorischer Hinsicht, in Deutschland, Frankreich, England und insbesondere in Italien zu Hause. Schon 1778, mit 22 Jahren, schrieb er selbstbewusst an den Vater, er könne »so ziemlich, wie sie wissen, alle art und styl von Compositions annehmen und nachahmen«. Fünf Jahre später widmete er eine Serie von Quartetten nicht seinem Vater, sondern dem väterlichen Freund und benannte sie nach ihm die »Haydn-Quartette«. Aber er ahmte nicht mehr nach, sondern hatte längst seinen eigenen Stil gefunden.

Macht Mozarts Musik schlauer?

Als schillernd, aber auch als kantabler, also singbarer und sinnlicher als die seines Vorgängers Haydn wird Mozarts Musik oft beschrieben. Seine Experimentierfreude, die schnellen Stimmungswechsel und Kontraste waren schon für seine Zeitgenossen so ›unerhört‹, dass man ihm die Drucke seiner Kompositionen schon mal wegen angeblicher Druckfehler zurückschickte. Auf zeitlich präzis versetzte Mehrstimmigkeit folgen geradezu triviale »Gassenhauer«, alles zusammengehalten durch ein einigendes melodisches Band.

Im Wien des Jahres 1781 traf Mozart bereits auf eine musikalisch aufgeschlossene Gesellschaft, in der nicht nur Musik hören, sondern auch selbst zu musizieren als kulturelles Statussymbol, zumindest der Oberschicht galt. Die Wiener Zeit, Mozarts zehn letzte Lebensjahre, war zugleich die produktivste und erfolgreichste Phase, in der fast die Hälfte seines gesamten Werks entstand. Ob »Die Hochzeit des Figaro«, »Eine kleine Nachtmusik«, »Don Giovanni« oder »Die Zauberflöte«: selbst wer noch nie in einem Konzert- oder Opernhaus war, erkennt die Melodien meist, summt oder pfeift sie vielleicht mit.

Wissenschaftler wollen sogar herausgefunden haben, dass Probanden, denen seine Klaviersonaten vorgespielt wurden, bei Intelligenztests besser abschnitten als solche, die vorher nichts zu hören bekamen. Klüger durch Mozart? Das klingt tatsächlich zu schön, um wahr zu sein. Denn ebenso hartnäckig und zahlreich wie die Behauptungen eines »Mozart-Effekts« sind Studien, die beweisen sollen, dass seine Musik keine derartige Wirkung hat. Also sagen wir einfach: Mozart macht gute Laune!

Mozart im Alter von 6 Jahren – A. Lenisch, Europeana

Eine Schule besuchte er nie, aber bereits mit 5 Jahren komponierte Mozart seine ersten Stücke und begleitete seinen Vater auf Konzertreisen quer durch Europa


City lights Europe
1xpert – stock.adobe.com

Europas ›Götterfunken‹. Mozart durchquerte den Kontinent schon als Kind, Beethoven komponierte ihm seine spätere Hymne.


Vier Töne erobern die Welt – und das Weltall

Ta-ta-ta-taaaaa! Eine Melodie für die Ewigkeit – oder mindestens für 500 Millionen Jahre! So lange soll nämlich die Datenplatte halten, welche an Bord der Raumsonde »Voyager« durch das Weltall rast und die, wenn sie denn eines Tages auf ferne Zivilisationen träfe, Auskunft geben soll über die Erde und ihre Bewohner. Als musikalische Grußbotschaft für außerirdische Hörer hat es auch Ludwig van Beethovens 5. Symphonie auf die berühmte Golden Record geschafft. Eine Musik, von der schon zu seinen Lebzeiten gesagt wurde, sie sei bizarr und stieße in Neuland vor, in nie zuvor betretenes Gebiet – ganz so, als hätte sie die Reise durch die Galaxien bereits vorweggenommen.

Aber zurück zur Erde: Als Beethoven 1792 mit 22 Jahren aus Bonn nach Wien kam, war Mozart bereits ein Jahr tot und Haydn komponierte, schon 60-jährig, sein Spätwerk. Beethoven sollte das Wiener Dreigestirn vervollständigen und »Mozarts Geist aus Haydns Händen« empfangen, wie man ihm vor seiner Abreise empfahl. In der »Welthauptstadt der Musik« erhielt er von ›Papa Haydn‹, wie dieser in Musikerkreisen genannt wurde, noch Unterricht – auch wenn es sich dabei schon um einen Meisterkurs handelte. Haydn lobte den Schüler zwar für seine große Erfindungsgabe, kritisierte ihn aber wegen seiner »Neigung zum Sonderbaren«.

Ein Sonderling war der Komponist, der in den Wiener Wirtshäusern randalierte und anfänglich mit der Französischen Revolution sympathisierte, dabei aber einen adeligen Lebenswandel imitierte, tatsächlich. Die Marmorbüsten seiner fürstlichen Gönner zertrümmerte er, beschimpfte sie als »Hunde« und schlug mitten im Konzert den Klavierdeckel zu, wenn das Publikum nicht aufmerksam zuhörte. Anders als noch Haydn und Mozart sah sich Beethoven nicht mehr zu dem Adel gefälligen Kompositionen verpflichtet, auch wenn er noch auf ›blaublütige‹ Auftraggeber angewiesen war. Die Zeit der gepuderten Perücken, der gezwungenen höfischen Etikette war vorbei. Beethovens wilde Mähne, seine ungestüme Art und der aufbrausende Charakter, sie lassen sich in seiner Musik geradezu heraushören.


Beethovens Symphonien – ein Geisterreich des Ungeheuren und Unermesslichen.


Chaotisch, laut und kompliziert – so beschrieben einige zeitgenössische Kritiker Beethovens Werke. Man könne sich nicht einfach zurücklehnen und genießen und verliere die Übersicht in ihrer maßlosen Länge, hieß es damals in den Musikzeitschriften. Aber Beethoven sprengte nicht nur zeitliche Grenzen, sondern ebensolche ästhetischen und setzte sich ab von einem Kunstideal des nur Schönen und Harmonischen. Für E.T.A. Hoffmann hatten Beethovens Symphonien sogar das Tor zu einem »Geisterreich des Ungeheuren und Unermesslichen« aufgestoßen, dessen vernichtende »glühende Strahlen« am Ende den »Schmerz einer unendlichen Sehnsucht« hinterließen. Doch Hoffmann, selbst Komponist und vor allem Autor romantischer Schauergeschichten, meinte das überaus lobend: bei Beethoven gerate man immer tiefer in einen Park, dessen Irrgänge mit seltenen Gewächsen umsäumt seien.

Die »Musik ohne Worte«, Instrumentalmusik, die ohne erzählenden Gesang auskommt, hatte sich zwar seit dem Barock etabliert, aber noch Haydn stellte zu Beginn seiner Karriere die Opern und Oratorien in den Mittelpunkt, seine symphonischen Werke machten ihn erst im Alter berühmt. Mozart ist ohne die Arien nicht denkbar, Beethovens Symphonien dagegen ragen wie massive Berge aus den Werken des Wiener Dreigestirns heraus, »Fidelio« blieb seine einzige Oper. Von den mittelalterlichen Chorälen bis zu den Kantaten der Barockzeit war der Gesang prägend für die europäische Musik – mit Beethoven sind die Instrumente, ist die Instrumentalmusik »autonom« geworden und in seinem Spätwerk klingt fast jede Komposition wie eine einzigartige Neuschöpfung, die ihren ganz eigenen Regeln folgt.

Musikalisches Kopfkino

Kann man einer solchen Musik folgen, ohne deren Regeln zu kennen oder verliert sich der Hörer in einem »Geisterreich« und dessen Irrgängen? Gibt es einen passenden Schlüssel zu einer Musik, bei der man sich nicht einfach zurücklehnen und genießen können soll? Wurden Beethovens Werke zu Beginn schon als »bizarr« bezeichnet, beklagte man auch noch sein Spätwerk als schwer verständlich und vermutete gar ein »verschwiegenes Programm«, einen ›geheimen Zweck‹ dahinter.

Ob man, wie einer seiner Schüler, der Komponist und Pädagoge Carl Czerny, meint, beim Hören von Beethovens Musik tatsächlich Gemälde zu sehen, ob man vor Freude »schöne Götterfunken« umherfliegen sieht oder in seinem ganz persönlichen ›Kopfkino‹ sitzt: Mit seinem sich von Texten und Funktionen allmählich lösenden Instrumentalwerk wurde Beethoven auch zum Wegbereiter der folgenden »Romantik«, der Musik, die als »musikalische Seelenreise«, als Fantasiemusik der menschlichen ›Innenwelt‹ gilt. In seinen letzten Lebensjahren war Beethoven, der 1827 starb, vollständig ertaubt – als er seine 9. Symphonie komponierte, hörte er bereits nichts mehr von der ›äußeren Welt‹ und isolierte sich zunehmend.

Beethoven wandte sich in dieser Symphonie wieder großen, hoffnungsvollen Worten zu: im 4. Satz trägt ein Chor ein Gedicht Friedrichs Schillers, – die »Ode an die Freude« – vor. Die Melodie ist heute die offizielle Europäische Hymne, als solche ist sie aber eben kein humanistischer ›Welthit‹: Mag die Musik Beethovens auch ›universalisierbar‹ sein, der Text Schillers – »alle Menschen werden Brüder« – bleibt vorerst Wunschdenken. Zu den Klängen der 9. Symphonie↗ nahm jedenfalls ein berühmter sächsischer Komponist, im Dresden des Revolutionjahres 1849, an blutigen Straßenkämpfen teil – nicht ohne zuvor schon die Oper revolutioniert zu haben …

Teil 4: Romantik auf den Barrikaden


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