Energie für immer? Kernfusion aus Deutschland

Verschmelzung statt Spaltung: Kernfusion verspricht nahezu unerschöpfliche, saubere und sichere Energie. Trotz großer Fortschritte in der internationalen Forschung blieb der kommerzielle Durchbruch aber bislang aus. Das Münchener Unternehmen Proxima Fusion könnte dies bald ändern.
Die Sonne als Vorbild
Es ist längst ein Running Gag in der Kernfusionsforschung: Seit 30 Jahren heißt es, in 30 Jahren sei es endlich soweit. Nun könnte das Start-up Proxima Fusion die Wartezeit deutlich verkürzen. 2031 soll das Fusionskraftwerk »Alpha« gebaut werden, mit dem man schaffen will, woran andere Reaktormodelle bislang scheiterten: kontinuierlich und stabil mehr Energie zu erzeugen als zu verbrauchen. Zuverlässige Energieversorgung gilt weltweit als wesentlicher Wohlstandsfaktor und wissenschaftlichen Schätzungen zufolge soll der globale Energiebedarf bis 2050 um mehr als 30 Prozent steigen.
Als großes Vorbild für Fusionskraftwerke dient unsere Sonne, die Grundlage allen irdischen Lebens. Seit Jahrmilliarden produziert sie scheinbar unerschöpflich Energie, denn in ihrem Kern lodert eine Art »ewige Fusionsflamme«. In ihr verschmelzen Wasserstoffatomkerne, sie fusionieren zu Helium und erzeugen so die gewaltigen Naturkräfte, die auch unsere Erde erwärmen und erhellen. Die Sonne ist quasi ein riesiger Plasmaball, in dem nicht weniger als 99,8 Prozent der Masse unseres gesamten Planetensystems stecken. Plasma, das man auch als vierten Aggregatszustand von Materie bezeichnet, entsteht, wenn die Temperatur von Gas immer weiter erhöht wird. Dieses extrem heiße Gas ist das Medium, mit dem die Energie entsteht, die auch die Sonne als Licht und Wärme abstrahlt.
Um dieses natürliche Kraftwerk auf der Erde nachbauen zu können, müssen die Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium miteinander verschmolzen werden. Dabei werden enorme Mengen nutzbarer Energie freigesetzt, in einem geeigneten Kraftwerk ca. 100 000 Kilowattstunden, was einer Verbrennungswärme von über 10 Tonnen Kohle entspricht. Unfassbare 100 Millionen Grad heiß wird es in so einer ›Minisonne‹, aber der Druck ist nur gerade so hoch wie bei einem Autoreifen. Wie Reifen oder riesige Donuts sehen die torusförmigen Versuchsanlagen tatsächlich aus. An Leistung könnte es ein fertiges Fusionskraftwerk aber mit den konventionellen Atomkraftwerken aufnehmen, anders als bei diesen entsteht bei der Fusion jedoch nur schwach strahlender »Abfall«, für den kein Endlager nötig werden soll. Eine günstige und außerdem sichere und umweltfreundliche Energieversorgung also?
Stellarator, der Sternenbringer
In den meisten bisherigen Versuchsanlagen wie denen vom Typ Tokamak neigt Plasma allerdings dazu, schnell instabil zu werden – ein großes Problem, weil dadurch nicht nur der Fusionsprozess unterbrochen, sondern auch die Konstruktion selbst beschädigt werden kann. Mit »Stellaris« stellt Proxima Fusion nun ein Konzept vor, mit dem ein Fusionskraftwerk zuverlässig, kontinuierlich und damit wirtschaftlich nutzbar betrieben werden soll. Das Stellaris-Konzept baut auf der Funktionsweise von »Wendelstein 7-X« auf, einer Anlage zur Erforschung der Kernfusion im norddeutschen Greifswald. Wendelsteins Hauptkomponente ist bereits ein Stellarator, eine Bautypalternative zu den Tokamaks. Anders als diese sollen Stellaratoren von Anfang an im Dauerbetrieb arbeiten. Geleitet wird die Forschungsanlage vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) – Proxima Fusion ist eine Ausgründung des IPP.
Das junge Unternehmen entwickelte auf dieser Grundlage nun ein Konzept, das kleinere, aber effizientere Reaktoren ermöglichen soll. Stellaris ist darauf ausgelegt, mehr Energie pro Volumeneinheit zu erzeugen als jedes zuvor konzipierte Fusionskraftwerk. Auch hier erfolgt die Fusion mittels magnetischen Einschlusses, um so schließlich elektrische Energie zu gewinnen. Zu den zukunftsweisenden Merkmalen des Stellaris-Konzepts gehört aber ein aufwendigeres Magnetfelddesign. Es soll alle wichtigen physikalischen Optimierungsziele für die Energieerzeugung erfüllen und Stützstrukturen bieten, die den bei Dauerbetrieb entstehenden gewaltigen Kräften standhalten können. Denn ein Fusionsreaktor muss das 100 Millionen Grad heiße Plasma durch Magnetfelder kontrolliert zusammenhalten, um es dann über eine Turbine in Strom umzuwandeln.
Nun sind dem Proxima Fusion Team Berechnungen gelungen, mit denen das Plasma über einen längeren Zeitraum stabil gehalten werden kann, dadurch wird außerdem auch der Wärmeverlust des Plasmas verringert. Sie wurden unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz durchgeführt, der auch dem Magnetringmodell seine ungewöhnliche Form gab. 60 Wissenschaftler – Physiker, Ingenieure und Ökonomen arbeiten multidisziplinär zusammen, auch der ehemalige Arbeitgeber vieler Teammitglieder, das Max-Planck-Institut, bleibt ein Hauptpartner. Man stehe auf den ›Schultern von Giganten‹, heißt es bei Proxima Fusion – schließlich baut ihr Erfolg auch auf die jahrzehntelange Forschung und Pionierleistung des Instituts auf. Es verschmelzen hier also nicht nur die Atomkerne, sondern auch die verschiedensten Disziplinen und Generationen miteinander.
Luftschloss oder Tor zur Energieunabhängigkeit?
Für Kritiker ist die zeitnahe Umsetzung dieses Fusionskraftwerkes ein »Luftschloss« und »Millionengrab«. Die Befürworter sind sich dagegen sicher, dass der erste Demonstrationsreaktor in Deutschland stehen wird. Die Erwartungen sind hoch, die Investitionen sind es ebenfalls: allein in Bayern will man 100 Millionen Euro in die Kernfusionsforschung investieren – neue Lehrstühle und Studiengänge inklusive. Bei Proxima Fusion in München bezeichnet man sich selbst als das »am schnellsten wachsende Fusionsenergie-Start-up Europas«.
Ob ihr Stellaris wirklich in den 2030er-Jahren in Betrieb gehen wird und ob dann der Weg frei ist für unbegrenzten, sauberen und günstigen Strom, wird sich zeigen. Wenn der entscheidende Schritt – der Bau eines funktionierenden, wirtschaftlich betriebenen Fusionskraftwerks – gelingt, könnte dies ein Tor zur Energiesouveränität Europas aufstoßen.
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